Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
schlängeln sich an ihrem Kissen entlang, schräg über ihr flackern in diversen Farben Kurven über den Monitor, der Herzfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffsättigung anzeigt, direkt neben ihr steht das rhythmisch schnaufende Beatmungsgerät. Auf der rechten Seite blinken die Zahlen der Spritzenpumpen, darüber baumelt eine stattliche Traube aus Infusionsflaschen. Und links neben dem Bett thront ein Hämofilter, weil Frau Roses Nieren innerhalb kürzester Zeit ihren Dienst quittiert haben. Es ist schwierig, an Frau Rose heranzukommen, ohne mit dem Bein in den Zuleitungen des Hämofilters hängen zu bleiben und alles auseinanderzureißen. Um die alte Dame abzusaugen und ihre Zähne zu putzen, muss ich mich an der gesamten Breite des Gerätes vorbeischlängeln. Sie tut mir unglaublich leid. Zwei Tage zuvor habe ich mitbekommen, wie ihre Schmerzen immer unerträglicher und sie immer unruhiger wurde, weil fast jede Minute jemand anderes im Zimmer stand, um sie zu untersuchen. Sie ertrug das alles sehr tapfer, und als ich sie in den OP begleitete und ihr alles Gute wünschte, drückte sie kurz meine Hand und sagte: «Ach, Schwester, das wird schon.»
Daran muss ich jetzt denken, und ich befürchte, dass das, was da wird, nicht im Sinne von Frau Rose sein wird.
Pünktlich zu Beginn der Besuchszeit kommt Herr Rose. Er wirkt in sich gekehrt und hat dunkle Augenringe, weil ihn die Angst um seine Frau kaum noch schlafen lässt. Sorgfältig hängt er seine Jacke an den Haken neben der Zimmertür und betritt mit sorgenvoller Miene das Zimmer seiner Frau. Heute hat er zur moralischen Unterstützung seine Tochter mitgebracht, die im Gegensatz zu ihrem Vater kühl und arrogant wirkt. Sie begrüßt mich auch nicht, sondern nickt mir lediglich zu.
Der Anblick des Hämofiltrationsgerätes neben dem Bett seiner Frau jagt Herrn Rose einen gewaltigen Schreck ein.
«Was ist das denn für eine Maschine?», fragt er bekümmert. Ich erkläre ihm, dass damit die Nierenfunktion seiner Frau unterstützt wird, die sich als Folge der Komplikationen verschlechtert hat und dass … weiter komme ich nicht, weil die Tochter das Wort an sich reißt. In schnippischem Tonfall verkündet sie, sie habe sich im Internet schlau gemacht.
Jetzt leide ich. Im Internet verplempert ja mittlerweile jeder Hans und Franz seine wertvolle Freizeit, um zu dem Schluss zu kommen, wo und wann welche Fehler gemacht worden sind.
Die Tochter beendet ihre schrille Anklage mit der Anmerkung, zu Hause habe ihre Mutter auch keine Probleme mit den Nieren gehabt. Ich würde gerne erwidern, dass ihre Mutter zu Hause auch weder am Herzen noch am Darm operiert worden war, ahne jedoch, dass ich damit der ohnehin gereizten Stimmung die Krone aufsetzen würde. Herrn Rose ist der aufgeblasene Auftritt seiner Tochter sichtlich unangenehm.
«Nun lass doch die Schwester in Frieden, die kann da doch auch nichts für!», versucht er ihr in die Parade zu fahren, aber die Tochter lässt seinen Einwand nicht gelten.
«Ach Vati, Mutter liegt hier erster Klasse. Da kann man ja wohl erwarten, dass das hier ordentlich gemacht wird!»
Diese ondulierte Trulla mit ihren Perlenohrringen und ihrem Erste-Klasse-Gehabe geht mir mit einem Mal gewaltig auf die Ketten. Mir leuchtet vollkommen ein, dass sie große Angst um ihre Mutter hat, und dafür habe ich alles Verständnis der Welt. Aber es ist nicht nur dumm, sondern auch dreist zu glauben, dass man nur ausreichend lange durch das Internet surfen muss, um der zuständigen Krankenschwester die Leviten zu lesen und patzig auf den «Klassenerhalt» der Privatpatienten zu pochen. Ich verlasse unter einem Vorwand das Zimmer und hole Frau Anzug, die sofort die Augen verdreht, nachdem ich sie über den Grund der etwas gereizten Stimmung bei Frau Rose in Kenntnis gesetzt habe. Sie kommt gleich mit.
«Guten Tag, ich bin die Stationsärztin, was kann ich für Sie tun?», fragt Frau Anzug freundlich, und dann muss auch sie in toto die «Internet-und-alles-falsch-hier-und-die-Niere-was-ist-damit?!»-Suada über sich ergehen lassen. Frau Anzug hört der Perle geduldig zu, nickt an entscheidenden Absätzen mit dem Kopf und holt nach Beendigung der Litanei unauffällig tief Luft, um den beiden mit einer Engelsgeduld und in epischer Breite zu erklären, warum der Darm geschädigt ist, warum die Niere nicht mehr «mitspielt», welche Untersuchungen bereits durchgeführt wurden und was dabei herauskam. Also einfach alles. Die Tochter steht mit verschränkten
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