Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
Vom Netzwerk:
öffnet die Tür des ersten Patientenzimmers und lässt dann den Chef eintreten, der mit einem launigen «Guten Morrrgen!» die Sitzung eröffnet. Die Patienten sitzen kerzengerade in ihren Betten und strahlen den Klinik-König an. Der Chef startet nun seine Charmeoffensive, die vornehmlich nur den Patienten gilt. Der Chef ist derjenige, der hier das Zepter in der Hand hat, und nimmt sich das Recht heraus, uns, das Fußvolk, notfalls auch vor den Patienten zusammenzufalten, was ihm im Bedarfsfall eine zusätzliche Dosis Respekt verschafft.
    Die klassische Eröffnungsfrage gilt dem Befinden, und für alle Beteiligten ist es eine große Erleichterung, wenn die Antwort «Danke, Herr Professor, mir geht es hervorragend!» lautet, denn günstigstenfalls quittiert der Chef diese Aussage später mit der lang ersehnten Entlassung. Spätestens jetzt dreht sich der Chef um und erbittet die Herausgabe der Patientenkurve, fragt gleichzeitig nach Laborwerten, die dem sich hastig räuspernden Stationsarzt etwas stockend aus dem Mund fallen und gelegentlich von der Krankenschwester, die bereits die Akte in der Hand hält, im Flüsterton korrigiert werden müssen. Was es denn da zu flüstern gäbe, fragt der Chef nach. Ich hatte geflüstert und behaupte: «Das war sicher nur der Wind!»
    «Sie sind eine humorige junge Frau», versucht der Chef seine dezente Vergnatztheit zu überspielen, und ich bedanke mich artig. Ich will mein Pulver nicht schon im ersten Zimmer verschießen und bewahre mir den Hofknicks für später auf.
    Ich versuche mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren, denn für mich sind Chefvisiten gefährliches Terrain: Ich finde das ganze Getue so dermaßen lächerlich, dass ich irgendwann nicht mehr weiß, wo ich noch hingucken soll, und mit verzerrtem Gesicht von all dem unterdrückten Gelächter konzentriert in eine Ecke stieren muss, um nicht unangenehm aufzufallen. Oder ich fange an mich zu langweilen, konzentriere mich nicht und habe nicht rechtzeitig die richtige Akte parat. Dann werde ich unwirsch von der Seite angefahren: «Ja, schlafen Sie denn, Schwester?» Zu all dem habe ich zu schweigen und gute Miene zu machen, was mir von Minute zu Minute schwerer fällt.
    Heute kann die Visite in diesem Zimmer ohne weitere Vorkommnisse beendet werden, allen wird «Alles Gute weiterhin!» gewünscht, und ich habe nun die Aufgabe, die Tür zu öffnen und darf zuerst mit meinem Kurvenwagen aus dem Raum rumpeln, während sich die Kolonne umsortiert, damit dieselbe Reihenfolge wie beim Betreten des Zimmers bestehen bleibt. Der ganze Tross zockelt hinter dem vermeintlich enthusiastischen Chef hinterher, der mit guter Laune Interesse an einzelnen Patientenschicksalen heuchelt, um später die gesamte Mannschaft auf dem Flur dafür rundzumachen, dass da ein zig Tage altes Röntgenbild nicht in der Galerie am Fenster geklebt hat. Mit auswendig gelernten Gebärden unserer Empathie passieren wir ein Zimmer nach dem nächsten, und die Stationsärzte werden unter dem Druck zunehmend fahriger. Nur so kann ich mir erklären, was vor dem vorletzten Zimmer geschieht: Der Chef tritt ein, «Guten Morrrgen!», alle hinterher, zuletzt der Stationsarzt und – bumm! – knallt die Tür vor meiner Nase zu. Ich bemühe mich gerade um eine schnurgerade Einfahrt mit diesem plumpen Kurvenwagen und setze das schwere Ding knackend an das Holzfurnier. Mit schreckgeweiteten Augen in der Größe einer Wanduhr reißt der Stationsarzt die Tür wieder auf und lässt mich herein. Aus dem Mund des Chefs schwallt schon ein ungehaltenes «Wo bleiben Sie denn?!».
    «Danke, mir ist nichts passiert!», flöte ich und liefere die Akten für den Showdown: Im Zimmer liegt eine Frau, die nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt ist. Und leider hat die Patientin soeben abgeführt; die trockene Heizungsluft im Raum ist mit dem charakteristischen atemberaubenden Gestank geschwängert. Der Chef ist pikiert – wie kann es sein, dass es zur Visite in einem Privatzimmer derartig stinkt? Mit verkniffenem Mund steht der Chef an ihrem Bett und fragt: «Was soll das?»
    Wir gucken uns verunsichert an. Was meint der denn?
    «Warum die Frau hier in ihrem Stuhlgang liegt, will ich wissen!»
    «Weil sich Därme nicht nach Visitenzeiten richten», platze ich vorlaut heraus. Der Stationsarzt dreht sich zur Seite; ich höre sein unterdrücktes Gekicher und versuche ernst zu gucken.
    «Sie schon wieder!», faucht der Chef, «Sie kommen sich wohl ganz besonders schlau vor,

Weitere Kostenlose Bücher