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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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was?»
    «Ich bin gar nicht so schlau», erwidere ich und folge dem dringenden Bedürfnis, etwas gegen meinen Gesichtsverlust zu tun, «immerhin vergeude ich meine wertvolle Zeit, die ich für die Patientenversorgung brauche, damit, mit einem unhandlichen Wägelchen hinter Ihnen herzugondeln.»
    Dann schlängle ich mich am Kurvenwagen vorbei aus dem Zimmer hinaus und höre noch, wie der Chef sich aufbläst: «Was fällt Ihnen denn ein?»
    Ich finde, dass ich meine Schuldigkeit getan habe: Ich habe die Akten zur Verfügung gestellt, im Gegenzug werde ich angemeckert, und darauf habe ich nun keine Lust mehr. Im Zimmer der Patientin befinden sich ausreichend kräftige Männer, die das Wägelchen problemlos wieder herausschieben können, und ich habe Zeit, frische Wäsche und Papiertücher für die Säuberung dieser gedemütigten Frau zu organisieren.
    Fragend guckt die Stationsleiterin um die Ecke. Nachdem ich ihr den Vorfall geschildert habe, empört sie sich zwar über den Auftritt des Chefs, befürchtet aber, dass es nun anstatt des gemütlichen Kaffeepäuschens überflüssigen Stunk geben wird.
    «So reden Sie nicht mit mir, Sie nicht!», dröhnt El Jeffe auch schon um die Ecke und bleibt abrupt stehen, als er die Leiterin sieht. «Einen solchen Ton dulde ich nicht in meinem Haus!»
    «Herr Professor, beruhigen Sie sich bitte», bleibt meine Kollegin gelassen, «Sie brüllen hier auf unserer Station auf gar keinen Fall meine Kolleginnen an.»
    Wortlos gehe ich die Patientin waschen, denn jetzt kommen die Beschwichtigungen, damit der rüstige Senior nicht gleich mit einem Herzkasper in die Ambulanz transportiert werden muss. Ich habe das dringende Bedürfnis, den miesen Auftritt des Chefs mit Zuwendung wieder auszubügeln, und als das Bett frisch bezogen und das Zimmer einigermaßen gelüftet ist, lasse ich der Frau eine Handmassage zuteil werden, die sie offenkundig sehr genießt. Mit mir wieder im Reinen, verlasse ich das Zimmer.
    Das Ergebnis der ganzen idiotischen Veranstaltung ist ein flächendeckender saftiger Anschiss für alle, selbst die Oberärzte, die doch «gar nichts gemacht haben», wie sie mit großen Augen und erhobenen Armen betonen. Sie sind ein bisschen grantig, als sie mich danach sehen. Nur der Stationsarzt sitzt später im Stationszimmer, lacht sich kaputt und serviert mir höchstpersönlich eine Tasse Kaffee. Meine Kollegen sind ebenfalls sehr zufrieden mit mir, weil ich den Ärger gekriegt habe und nicht sie, aber endlich mal einer den Mund aufgemacht hat. Ob es eine Strafe oder eine Belohnung ist, nie wieder für die Chefvisite eingeteilt zu werden, liegt im Auge des Betrachters. Ich sehe: Wer zuletzt lacht, lacht am besten.
     
    Auf der Intensivstation erlebe ich die Chefvisiten komplett anders. Bevor die Ärzte aus der Nachtschicht nach Hause fahren, findet die erste Visite statt, streng getrennt von den Chefs der einzelnen Abteilungen und den Assistenzärzten, die sich oftmals erst mal das übliche «Das kann ja nicht sein» anhören müssen, wenn sie beispielsweise schildern, dass Frau Dietrich nach ihrer Herzoperation etwa einen Liter Blut verloren hat oder sich bei Frau Rose zu ihrem Multiorganversagen noch eine Sepsis dazugesellt. Die Nachblutung wird vom Chef nicht als lebensbedrohliche Komplikation aufgefasst, sondern als Vorwurf an ihn, der per se über jeden Zweifel erhaben ist.
    Die Ratlosigkeit, die bei Frau Rose allmählich um sich greift, macht den Chef erst recht grantig, weil er sich Ratlosigkeit nicht erlauben kann. Die Stimmung ist morgens grundsätzlich angespannt, und nachdem die Chefs zum Frühstück den einen oder anderen Assistenzkollegen abgewatscht haben, gehen sie in Begleitung der willfährigen Oberärzte durch die einzelnen Zimmer, in denen wir bereits mit dem Waschen der Patienten angefangen haben. In den meisten Fällen gucken sie um die Ecke und brummeln einen kurzen Gruß, streichen ihren Schlips gerade und gehen ihrer Wege, was manche Patienten zu der berechtigten Frage «Wer war das denn?» veranlasst. Kommen sie jedoch zu einem Privatpatienten, wird dieser herzlich begrüßt und nach seinem Befinden gefragt, und es spielt sich eine ähnliche Show ab wie auf der Normalstation. Geht es dem Patienten gut, wird die Verlegung in Aussicht gestellt. Geht es ihm nicht gut, wird mentale Aufbauhilfe geleistet.
    «Nun ja, Herr Teichmann», versucht der Chef Trost zu spenden, «das war eine große Operation, die Sie da hinter sich gebracht haben, und das dauert eine

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