Schwesterlein, komm stirb mit mir
Schneider anfangs sogar mitgemacht, weil er es für ein Spiel hielt.»
So leicht ließ Miguel sich nicht überzeugen. «Dazu hätten die beiden Doppelgänger sein müssen. Und das wäre ja wohl allen aufgefallen.»
«Ich glaube eher, dass mein Bruder sich mit Jan angefreundet hat, weil er in seinen Plan passte», sagte Liz. «Ich schätze, er war von ähnlicher Statur und etwa im gleichen Alter. Hinzu kam, dass Schneider kurz vor der Entlassung stand. Das hat Hendrik ausgenutzt. Er hat ihn umgebracht, es wie einen Selbstmord aussehen lassen und das Feuer gelegt. Ich denke nicht, dass er damit gerechnet hat, dass weitere Menschen ums Leben kommen. Er wollte nur verhindern, dass man bei der Obduktion herausfindet, wer der Tote in Wirklichkeit ist.»
«Und das soll niemand bemerkt haben?», fragte Miguel.
«Bei dem Chaos während des Feuers ist das vermutlich erst mal keinem aufgefallen», spekulierte Liz weiter. «Da waren schließlich viele Menschen im Einsatz, die Hendrik nie zuvor gesehen hatten. Feuerwehrleute, Sanitäter, was weiß ich. Und dann wurde er ja in eine andere JVA verlegt, wo ihn auch niemand kannte.»
«Bis auf den Lehrer Friedrich Burgmüller und seinen Mithäftling Karim Meshad», ergänzte Birgit. «Deshalb hat Meshad dir den Brief geschrieben, um dich zu warnen, und Burgmüller als Zeugen benannt.»
«Und sonst soll niemand dahintergekommen sein? All die Jahre nicht?» Miguel zog abrupt einen Stuhl heran. «Das kann ich mir nicht vorstellen.»
«Andere Mithäftlinge könnte Vermeeren unter Druck gesetzt haben», sagte Birgit.
«Und Schneiders Eltern?» Miguel setzte sich.
«Die waren damals schon tot.» Liz spürte, dass sie der Wahrheit noch nie so nah war.
«Und nachher ist es auch niemandem aufgefallen? Was ist mit seinem Anwalt beim Prozess? Mit weiteren Zeugen aus der Anstalt?» Miguel schüttelte ungläubig den Kopf.
Birgit blickte ihren Kollegen nachdenklich an. «Vielleicht wollte da niemand mehr für den Fehler geradestehen. Ein solcher Irrtum ist unglaublich peinlich, da könnten Köpfe rollen. Hendrik Vermeerens Eltern und die Öffentlichkeit wurden bereits über dessen Tod unterrichtet. Wer will da schon gern zugeben, dass man zwei Häftlinge verwechselt hat? Der Skandal wurde vertuscht. Das würde auch erklären, warum man uns die Akten nicht geben wollte.»
«Also ganz ehrlich, das klingt mir zu sehr nach Verschwörungstheorie …» Miguel rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her.
Doch Birgit ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. «Das wäre nicht der einzige Justizskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte. Denk mal an Vera Brühne und Donald Stellwag. Oder an den Fall Monika de Montgazon, eine Frau, die wegen Mordes durch vorsätzliche Brandstiftung zu Unrecht verurteilt wurde. Fast genauso wie Schneider. Und das erst vor wenigen Jahren. Stell dir mal vor, was für einen Aufschrei es damals gegeben hätte, wenn die Behörden hätten einräumen müssen, dass sie erst nach Tagen oder sogar Wochen bemerkt haben, dass sie zwei Strafgefangene verwechselten? Wäre nicht alles getan worden, um einen so gravierenden Fehler unter den Teppich zu kehren?»
Stadler, der die ganze Zeit schweigend zugehört hatte, schaltete sich ein. «Also gut. Nehmen wir an, dass nicht Hendrik Vermeeren, sondern Jan Schneider damals ums Leben kam. Rein theoretisch. Vermeeren hat Schneider umgebracht, das Feuer gelegt und ist im allgemeinen Durcheinander in dessen Rolle geschlüpft. Alles lief glatt, bis er wegen der Brandstiftung angeklagt wurde, die er eigentlich seinem Opfer anlasten wollte.»
«Ein ziemlich perfekter Fluchtplan also», bestätigte Birgit. «Zumal Schneiders Eltern tot waren und ein beträchtliches Vermögen hinterlassen haben. Vermeeren wäre wenige Wochen nach seiner Verurteilung entlassen worden und hätte eine neue Identität und ein fettes Startkapital frei Haus dazubekommen.»
«Gesetzt den Fall, es war so», fuhr Stadler fort. «Dann würde das nicht nur erklären, warum wir die Akten erst nach langem Tauziehen und selbst danach nur unvollständig bekommen haben, sondern auch, warum der Mörder auf Liz fixiert ist.» Er sah Liz an, ehe er fortfuhr. «Die Frage ist: Was bedeutet das für uns? Was hat Vermeeren vor?»
Liz starrte aus dem Fenster. «Ich nehme an, er wird mit mir Kontakt aufnehmen. Er hat diese Frauen allein deshalb umgebracht, um mir ein Rätsel aufzugeben. Ich sollte herausfinden, dass er noch lebt. Deshalb hatte ich solche Schwierigkeiten
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