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Schwesterlein, komm stirb mit mir

Schwesterlein, komm stirb mit mir

Titel: Schwesterlein, komm stirb mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Sander
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4:16 Uhr
    Irgendwo rauschte es. Eine Straße? Der Rhein? Tanja Matzurka lauschte angestrengt, doch das Geräusch war zu leise. Womöglich bildete sie es sich nur ein. Oder es war das Rauschen ihres eigenen Blutes, das von den stillen schwarzen Wänden widerhallte. Sie hatte ihr Gefängnis erkundet, soweit es ihre gefesselten Hände zuließen. Es war ein winziger Raum ohne Fenster. Betonwände, Betonboden, keinerlei Einrichtung. Die Tür musste irgendwo in der gegenüberliegenden Wand sein, doch die erreichte sie nicht. Ihre Handgelenke waren mit Handschellen gefesselt, die durch einen Ring in der Wand gezogen waren. Der Ring schien das Einzige zu sein, was nicht aus Beton war. Nicht einmal einen Eimer gab es, in den sie ihre Notdurft verrichten konnte. Vorhin, als sie sich gar nicht mehr zu helfen wusste, hatte sie sich einfach auf den Boden gehockt. Die Dunkelheit hatte es ihr leichtgemacht. Allerdings saß sie nun zwangsläufig genau neben der Pfütze, die nicht zu trocknen schien. Sie fror. Ihr Körper war ganz steif und taub. Tränen der Verzweiflung brannten in ihren Augen, doch sie wollten nicht fließen.
    Dabei hatte der Tag so perfekt begonnen. Sie hätte den Kunden treffen sollen, der das Penthouse kaufen wollte. Ihr bislang lukrativster Auftrag. Sie war sich ganz sicher gewesen, dass sie den Deal abschließen würde. Doch sie war nur bis in die Tiefgarage ihres Wohnblocks gekommen. Als sie ihren Wagen aufschloss, einen nagelneuen Mini, den sie sich zur Feier ihrer Neugeburt geleistet hatte, hatte jemand ganz plötzlich von hinten den Arm um ihren Hals gelegt und ihr etwas auf den Mund gepresst. Etwas Stinkendes, das ihr den Atem raubte. Noch bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte, war ihr schwarz vor Augen geworden. Als sie wieder aufwachte, lag sie nackt auf dem Betonboden. Grelles Licht blendete sie, ein Mann stand über ihr, ganz in Schwarz gekleidet, mit einer Maske vor dem Gesicht. Sie hatte ihn gefragt, was er von ihr wolle. Sie hatte ihn angefleht, ihm Geld versprochen. Sie hatte ihm sogar ihren Körper angeboten.
    «Nimm mich», hatte sie gefleht. «Nimm dir, was du willst, nur lass mich leben, bitte!»
    Sie hatte sich vor sich selbst geekelt. Wie erbärmlich, sich diesem Schwein so darzubieten! Es war ohnehin vergeblich gewesen. Er hatte kein Wort gesagt, sie nur schweigend angesehen. Schließlich hatte er ihr die Handschellen angelegt und sie an dem Ring an der Wand befestigt. Noch bevor sie Zeit gehabt hatte, sich in ihrem Gefängnis umzusehen, hatte er das Licht ausgemacht und war verschwunden.
    Wie lange das wohl her war? Stunden? Oder schon Tage? In der Dunkelheit hatte sie jedes Zeitgefühl verloren.
    Ein bitterer Gedanke war vor einer Weile in ihr aufgestiegen, einer, der schlimmer war als alle anderen Gedanken, die sie in ihrem Gefängnis heimsuchten. Schlimmer als die Vorstellung, was der Kerl mit ihr anstellen würde. Es war ein Gedanke, der schmerzte wie tausend Rasierklingen.
Das hast du nun von deinem Frauenkörper, den du dir so sehr gewünscht hast. Eine Frau sein, von Männern bewundert und begehrt werden, das wolltest du doch. Vielleicht hättest du früher daran denken sollen, dass begehrt werden auch bedeutet, verwundbar zu sein.
Verzweifelt versuchte sie, die Stimme in ihrem Inneren zum Schweigen zu bringen. Doch sie gab keine Ruhe.
Als Mann wäre dir das nicht passiert. Als Mann wärst du jetzt frei. Das kommt davon, wenn man der Natur ins Handwerk pfuscht.
Sie begann zu schreien, um die Stimme zu übertönen.
    «Nein! Lass mich in Frieden! Sei still!»
    Plötzlich kehrte Ruhe ein, und plötzlich flossen die Tränen. Tanja rollte sich auf dem eisigen Boden zusammen und schluchzte hemmungslos.

Dienstag, 22. Oktober, 9:33 Uhr
    Verschlafen tappte Liz in die Küche. Sonnenlicht blendete sie, schien sie zu verhöhnen. Sie stellte die Kaffeemaschine an und versuchte, nicht an das Desaster vom Vorabend zu denken. Vergeblich. Sie hatte überreagiert, so viel stand fest. Aber dieser Scheißbulle war auch nicht gerade einfühlsam gewesen. Stadler war jedoch nicht das Problem. Er war nur ein Symptom. Wenn er tatsächlich rein zufällig über ihr Foto gestolpert war und sie sofort erkannt hatte, dann konnte das jederzeit auch anderen Menschen passieren. Verdammt. Sie hatte sich sicher gefühlt. Sie war davon überzeugt gewesen, dass genug Jahre vergangen waren.
    Als ihr Buch erschien und für Furore sorgte, war ihr Foto mehrfach durch die Presse gegeistert. Zwar hatte sie alle

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