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Schwesterlein, komm stirb mit mir

Schwesterlein, komm stirb mit mir

Titel: Schwesterlein, komm stirb mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Sander
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Einladungen zu Talkshows ausgeschlagen und dafür gesorgt, dass kein Bild von ihr den Einband des Buchs zierte, trotzdem waren vereinzelt Artikel erschienen, die sie zeigten, wie sie ihre Promotionsurkunde entgegennahm oder wie sie auf einem Kongress einen Vortrag hielt. Niemand hatte sie erkannt. Niemand hatte einen Zusammenhang hergestellt. Bis gestern Abend.
    Sie schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und trat ins Wohnzimmer. Ihr Blick fiel auf die Pinnwand, an der die Fotos hingen. Auch das noch! Sie hatte vergessen, sie zu den anderen Unterlagen in die Akten zurückzutun. Sie würde sie Stadler mit der Post schicken, dann brauchte sie ihm nicht mehr gegenüberzutreten. Oder sie warf sie weg, schließlich waren es nur Abzüge.
    Sie setzte sich, nahm einen Schluck Kaffee und verbrannte sich die Zunge. Fluchend stellte sie die Tasse ab. Ihr Blick fiel auf ihre Handtasche, die sie gestern Abend, als sie nach Hause gekommen war, wütend auf den Tisch geknallt hatte. Sie hatte den Rest Wodka geleert und sich in den Liebesroman vertieft, es jedoch nicht geschafft, nicht mehr an Stadler zu denken.
    Sie nahm das Handy aus der Tasche. Dreizehn neue Nachrichten. Die ersten drei waren von Stadler, sie löschte sie, ohne sie zu lesen. Die vierte war von Deborah:
    Bleibe heute Nacht in Köln. Michael Flatley ist zwar kein begnadeter Tänzer, aber er hat einen göttlichen Körper. Viel Spaß mit deinem Bullen. Deb
    Liz musste lächeln. So pragmatisch wie ihre Freundin wäre sie auch gern. Die nächste Nachricht war aus dem Sekretariat der Fakultät. Abgeschickt heute Morgen um halb neun. Eine Bitte um Rückruf. Alle weiteren Nachrichten waren wieder von Stadler. Sie löschte sie, bis auf die letzte, die sie las.
Ich weiß, ich wiederhole mich. Aber es tut mir wirklich leid. Wie kann ich es wiedergutmachen? G. S.
Liz seufzte und rief im Sekretariat an. Frau Gunther, die Sekretärin, meldete sich nach dem ersten Klingelton. Sie klang gehetzt. Als Liz ihren Namen nannte, unterbrach sie sie sofort. «Ach, Frau Dr. Montario, es ist ja so furchtbar», jammerte sie. «Der arme Junge. War immer so still. Und so höflich. Finden Sie nicht auch?»
    «Ich weiß nicht, was Sie meinen, Frau Gunther.»
    «Ach, wie unüberlegt von mir. Ich habe heute Morgen schon mit so vielen Leuten darüber gesprochen, dass ich völlig vergessen habe, wer Bescheid weiß und wer nicht. Ruben ist verunglückt. Mit dem Fahrrad. Ist das nicht furchtbar?»
    Liz schloss die Augen. «Verunglückt?», fragte sie. Eine böse Ahnung stieg in ihr auf. Die Sekretärin hätte sie wohl kaum benachrichtigt, wenn er nur leicht verletzt war.
    «Er wurde überfahren.» Sie machte eine Pause. «Am Sonntagabend. Er ist tot.»
    «O, mein Gott!» Liz sah den schlaksigen Jungen mit der Brille vor sich und versuchte zu begreifen, dass er nicht mehr lebte, dass er nie wieder von seinem Platz hinter dem Rechner sein gelangweiltes «Guten Morgen, Frau Dr. Montario» brummeln würde. «Wie ist es denn passiert?»
    «Das weiß niemand so genau. Es war wohl schon dunkel, vielleicht hatte er kein Licht am Rad. Die jungen Leute sind ja oft sehr leichtsinnig.» Irgendwo im Hintergrund klingelte ein Telefon. «Ich muss Schluss machen, Frau Dr. Montario. Ich wollte nur, dass Sie es wissen.»
    «Danke, sehr aufmerksam von Ihnen.» Liz legte auf. Sie fühlte sich taub. Sie hatte Ruben kaum gekannt, ihm nicht besonders nahegestanden, doch sein Tod berührte sie, einfach, weil er so ungerecht und sinnlos war.
    Sie stand auf und ging ins Bad. Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, nahm sie die Fotos von der Wand und steckte sie in einen Umschlag. Sie räumte die Küche auf und stellte die Spülmaschine an, brachte den Müll hinunter und leerte auf dem Rückweg den Briefkasten. Im Aufzug ging sie die Post durch. Ein Umschlag stach ihr sofort ins Auge. Nur ihr Name stand darauf: Dr. Elisabeth Montario. Mit Schreibmaschine getippt. Keine Anschrift, kein Absender, keine Briefmarke. Wer auch immer das Schreiben verfasst hatte, hatte es bis zu ihrer Haustür gebracht. Der Gedanke jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Sie öffnete den Brief erst, als sie wieder in der Wohnung war und die Tür von innen verschlossen hatte. Die Worte waren wie ein Fausthieb in den Magen. Sie stöhnte, ließ das Blatt fallen. Einen Moment stand sie wie betäubt da. Dann bückte sie sich und las den kurzen Text noch einmal, in der aberwitzigen Hoffnung, sie könne sich beim ersten Lesen getäuscht haben.

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