Schwesterlein, komm tanz mit mir
Frau nieder, die unter schweren Beruhigungsmitteln stand. Vince zeigte ihm seine Karte, und Barnes folgte ihm auf den Gang.
Er stellte ihm die junge Frau als seine zweite Tochter, Karen, vor. «Zufällig war ein Reporter in der Notaufnahme, als wir dort ankamen», sagte Barnes tonlos. «Er hörte Emma etwas über das Päckchen schreien und daß Claire tot sei.»
«Wo sind die Schuhe jetzt?»
«Zu Hause.»
Karen Barnes fuhr ihn hin, um sie zu holen. Sie war Anwältin in Pittsburgh und hatte nie die Hoffnung ihrer Eltern geteilt, Claire würde eines Tages plötzlich wieder auftauchen.
«Wenn sie am Leben gewesen wäre, hätte sie auf keinen Fall die Chance verpaßt, in Tommy Tunes Show mitzuwirken.»
Das Haus der Barnes’ war ein Bau im Kolonialstil und lag in einer eindrucksvollen Nachbarschaft. Das Grundstück ist mindestens einen Morgen groß, dachte Vince. Auf der Straße stand ein Übertragungswagen des Fernsehens. Karen fuhr rasch daran vorbei in die Einfahrt und auf die Rückseite des Hauses. Ein Polizist hinderte den Reporter daran, sie aufzuhalten.
Der Wohnraum war voll mit gerahmten Familienfotos, darunter viele, die Karen und Claire als Heranwachsende zeigten. Karen nahm ein Bild vom Klavier. «Das habe ich von Claire aufgenommen, als ich sie zum letzten Mal sah.
Wir waren im Central Park, nur ein paar Wochen vor ihrem Verschwinden.»
Schlank. Hübsch. Blond. Mitte Zwanzig. Fröhliches Lächeln. Du hast den richtigen Geschmack, Bürschchen, dachte Vince bitter. «Darf ich das haben? Ich lasse Kopien machen und gebe Ihnen das Original gleich wieder zurück.»
Das Päckchen lag auf dem Tisch in der Halle. Gewöhnliches braunes Packpapier, ein Adressenaufkleber, den man überall kaufen konnte, Blockschrift. Der Poststempel stammte aus New York City. Der Schuhkarton trug keine Aufschriften bis auf eine zart gezeichnete Skizze eines hochhackigen Pumps auf dem Deckel. Die verschiedenen Schuhe. Der eine eine weiße Sandale von Bruno Magli, der andere eine zehenfreie, goldene Riemchensandalette mit hohem, dünnem Absatz. Beide hatten die gleiche Größe, sechs, schmal.
«Sind Sie sicher, daß diese Sandale ihr gehört?»
«Ja. Ich habe die gleichen. Wir haben sie an diesem letzten Tag in New York zusammen gekauft.»
«Wie lange hatte ihre Schwester schon auf Kontaktanzeigen geantwortet?»
«Ungefähr sechs Monate. Die Polizei hat alle überprüft, auf deren Anzeigen sie geschrieben hatte, zumindest alle, die sie finden konnte.»
«Hat sie jemals selbst Anzeigen aufgegeben?»
«Nicht, daß ich wüßte.»
«Wo wohnte sie in New York?»
«Westliche 63. Straße. Ein Apartment in einem Ziegelhaus. Mein Vater zahlte noch fast ein Jahr lang die Miete, nachdem sie verschwunden war, und gab dann die Wohnung auf.»
«Wohin haben Sie ihre Habseligkeiten gebracht?»
«Die Möbel lohnten den Transport nicht. Ihre Kleider und Bücher und alles andere sind oben in ihrem alten Zimmer.»
«Ich würde sie gerne sehen.»
Auf einem Regal im Wandschrank stand ein Pappkarton.
«Den habe ich gepackt», sagte Karen zu ihm. «Ihr Adreßbuch, ihr Terminkalender, Briefmappe, etwas Post und dergleichen. Als wir sie als vermißt gemeldet haben, hat die New Yorker Polizei alle ihre persönlichen Papiere durchgesehen.»
Vince hob den Karton aus dem Schrank und öffnete ihn.
Obenauf lag ein jetzt zwei Jahre alter Terminkalender. Er blätterte ihn durch. Von Januar bis August waren die Seiten mit Verabredungen gefüllt. Claire Barnes war nach dem 4. August nicht mehr gesehen worden.
«Was die Sache erschwert, ist, daß Claire ihre persönlichen Abkürzungen hatte.» Karen Barnes’ Stimme zitterte.
«Sehen Sie, da steht ‹Jim›. Damit war Jim Haworths Studio gemeint, wo sie Ballettstunden nahm. Hier, am 5. August, ‹Tommy›. Das bedeutete Probe für die Tommy-Tune-Show
Grand Hotel.
Sie war gerade engagiert worden.»
Vince blätterte zurück. Unter dem 15. Juli um fünf Uhr sah er «Charley».
Charley!
In beiläufigem Ton wies er auf den Eintrag hin. «Wissen Sie, wer das ist?»
«Nein. Obwohl sie einen Charley erwähnt hat, der sie einmal zum Tanzen ausgeführt hatte. Ich glaube, die Polizei hat ihn nicht finden können.» Karen Barnes’ Gesicht wurde blaß.
«Dieser Schuh! Solche Schuhe trägt man zum Tanzen.»
«Genau. Miss Barnes, erwähnen Sie diesen Namen bitte niemandem gegenüber. Übrigens, wie lange hatte Ihre Schwester in ihrer Wohnung gewohnt?»
«Ungefähr ein Jahr. Vorher hatte sie eine Wohnung
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