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Schwesterlein muss sterben

Schwesterlein muss sterben

Titel: Schwesterlein muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Wolff
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hirnrissig!«
    Merette rutschte vom Fahrersitz und griff nach seinem Arm.
    »Wir haben jetzt keine Zeit dafür!«, erinnerte sie ihn leise. »Sperr ihn in die Kirche. Aber wir müssen zur Hütte!«
    Jan-Ole starrte sie an, als müsste er überlegen, wer sie war. Dann schien er seine Fassung wiedergefunden zu haben. Er packte den Pastor am Ellenbogen.
    »Gut. Nimm endlich die Hände beiseite. Ich hab’s ja kapiert. Aber ich hab gar keine Handschellen dabei! Ich sag dir, was wir jetzt machen: Du gehst in deine Kirche und rührst dich nicht vom Fleck. Bete meinetwegen oder betrink dich mit dem Abendmahlswein. Ich rufe die Kollegen an, dass sie sich um dich kümmern.«
    Im nächsten Moment war wie aus dem Nichts der Regen da. Dunkle Wolken jagten über den Himmel, wie Gewehrfeuer trommelten die Tropfen auf das Wagendach.
    Der Pastor blieb reglos stehen, als wäre der strömende Regen bereits der Vorbote einer göttlichen Strafe.
    »Auch das noch«, knurrte Jan-Ole und nahm das Handy vom Armaturenbrett. Noch während er wählte, hörten sie eine brüchige Altmännerstimme über das Rauschen des Regens hinweg.
    »He, Polizist! Ja, dich meine ich! Wir wollen keine Deutschen hier! Nimm deine Freundin und verschwinde.«
    Der alte Mann stand wieder hinter seiner Mauer, er musste sie schon länger beobachtet haben. Sein Jackett war bereits schwarz vor Nässe. In der Hand hielt er einen faustgroßen Stein, als hätte er jeden Moment vor zu werfen.
    »Warte mal kurz«, sagte Jan-Ole zu dem Kollegen, der sich mittlerweile gemeldet hatte. »Ich muss hier mal eben was klarstellen.«
    Merette sah, wie er dabei mit den Schultern rollte und die freie Hand zur Faust ballte.
    »Jan-Ole!«, rief sie hinter ihm her. »Lass es, es ist egal! Wir müssen …«
    Jan-Ole reagierte nicht. Erst kurz vor der Mauer blieb er stehen. Er schlug die Lederjacke zur Seite und legte seine Hand auf die Waffe im Gürtel.
    »Jetzt noch mal von vorne«, hörte Merette ihn unvermittelt brüllen, »haben wir hier irgendein Problem, oder was?«
    »Wir wollen keine Deutschen hier«, beharrte der Alte trotzig.
    »Aber ein Pfarrer, der kleine Mädchen missbraucht, ist okay, ja? Da haltet ihr alle schön euer Maul und lasst ihn machen. Wie lange geht das schon so? Na los, ich höre! Ihr steckt doch hier alle unter einer Decke, ihr wisst doch Bescheid!«
    Ganz langsam ließ der Alte die Hand mit dem Stein sinken. Aber Jan-Ole war noch nicht fertig mit ihm.
    »Also los, komm schon, ich will deinen Namen haben, Anschrift, alles, was dazugehört. Und wenn die Kollegen kommen, können sie dich gleich mitnehmen, genauso wie den Rest von eurem verdammten Kaff hier!«
    Der Alte zuckte zusammen und schlurfte mit hängenden Schultern zurück zu seinem Haus.
    Jan-Ole nahm wieder das Handy ans Ohr. Merette zögerte kurz, dann hatte sie ihren Entschluss gefasst. Als Jan-Ole hörte, wie die Wagentür zuschlug, fuhr er herum …
    Der Motor lief noch. Merette löste die Handbremse und gab Gas. Loser Kies spritzte unter den Vorderreifen hoch, im Rückspiegel sah sie, wie Jan-Ole ein Stück hinter ihr herlief, bevor er aufgab und vornübergebeugt stehen blieb.
    Der Pastor hatte sich die ganze Zeit nicht von der Stelle bewegt. Merette nahm an, dass er immer noch betete.
    Sie quälte den Camper die langgezogene Steigung zwischen den Felsen hinauf, die Wischerblätter zogen schmierigeStreifen über die Windschutzscheibe. Aber sie hatte sich nicht geirrt, die Straße machte einen Bogen und führte durch die Heidelandschaft zur Halbinsel hinaus. Nach vielleicht ein oder zwei Kilometern passierte Merette die Haltebucht, in der sie beim letzten Mal den Volvo abgestellt hatte. Also war sie bereits zu weit gefahren! Sie stieg in die Bremse und setzte zurück, bis sie den vermoderten Schlagbaum entdeckte. Die Zufahrt war kaum noch zu erkennen, in ihrer Erinnerung war der Weg breiter gewesen, Brombeergestrüpp überwucherte von beiden Seiten die Fahrspuren.
    Merette überlegte nicht lange, sondern rammte den Wahlhebel zurück in die Fahrtstellung und gab wieder Gas. Der Motor heulte auf und übertönte fast den dumpfen Aufprall, mit dem der Kühlergrill den Schlagbaum durchbrach. Ein Stück modriges Holz knallte auf die Windschutzscheibe. Der Untergrund war durch den Regen so morastig, dass Merette Mühe hatte, den Camper in der Spur zu halten. Dornen kratzten quietschend über den Lack, ein größerer Ast riss den linken Außenspiegel aus seiner Halterung, gleich darauf zersplitterte auch der

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