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Schwesterlein muss sterben

Schwesterlein muss sterben

Titel: Schwesterlein muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Wolff
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blonder Junge und ein kleineres Mädchen mit ebenso blonden Haaren, die Hand in Hand vor einer Sommerhütte standen.
    »Was ist?«, fragte Jan-Ole dicht neben ihr. »Ist er das?«
    Merette drehte das Foto um, auf der Rückseite war in ordentlicher Schülerschreibschrift notiert: Sommerferien in der Hütte. Schwesterlein und ich .
    »Er ist es«, sagte Merette leise. »Mit seiner Stiefschwester. Aber …«
    »Was?«
    Merette blickte wieder auf das Foto.
    »Ich kenne die Hütte, ich habe sie schon mal gesehen! Genau diese Hütte! Mit den Apfelbäumen und der Kinderschaukel. Nur wo? Wo war das?«
    »Bist du dir sicher? Es ist ein Sommerhaus, wie es Hunderte an der Küste gibt.«
    »Sag das noch mal!«
    »Was? Dass es an der Küste Hunderte von diesen …«
    »An der Küste, das ist es! Jetzt weiß ich es wieder, ich war da, gerade erst vor ein paar Tagen, auf Sotra! Ich wollte ans Meer und habe mich auf der Halbinsel bei Telavåg fast verlaufen, und dann war da plötzlich diese Hütte, ganz alleine, weit draußen an einer Bucht. Das ist sie, ganz sicher, nur dass alles völlig verkommen ist, als würde sie schon seit Jahren nicht mehr benutzt. Die Fenster sind vernagelt und …«
    »Okay, das reicht«, sagte Jan-Ole. Sein Gesicht war soangespannt, dass die Kiefermuskeln deutlich hervortraten. »Bist du dir sicher, dass du den Platz wiederfindest?«
    »Ja, ganz sicher.«
    »Fahren wir. Ich rufe von unterwegs die Kollegen an, dass sie Verstärkung schicken.«
    Im Auto beugte er sich noch mal zu Merette. Er griff nach ihrem Kinn und drehte den Kopf zu sich.
    »Nur fürs Protokoll: Du zeigst mir jetzt den Weg dahin, mehr nicht. Alles andere ist meine Sache. Du bleibst im Auto und wartest auf mich. Können wir uns darauf einigen?«
    Merette schlug die Augen nieder und nickte.
    Jan-Ole rangierte den Camper mit quietschenden Reifen zurück auf die Straße und rammte noch im Rollen den Wahlhebel in Fahrtstellung. Aber schon nach wenigen Metern stoppte er wieder, um ein Blaulicht mit einem Magnetfuß aus dem Staukasten zwischen den Sitzen hervorzuholen. Er streckte den Arm aus dem Fenster und platzierte das Blaulicht auf dem Wagendach. »Ist sicherer«, erklärte er, bevor er erneut Gas gab.
    Einen Moment lang schwiegen sie beide, Jan-Ole konzentrierte sich ganz auf den Verkehr. Bei dem Tempo, mit dem er durch die schmalen Straßen raste, war Merette froh über das Blaulicht auf ihrem Dach.
    Auf dem Sotraveien zur Brücke über den Sund überholte Jan-Ole rücksichtslos einen Wagen nach dem anderen, mehrmals schaffte er es gerade noch so eben, vor dem Gegenverkehr wieder auf die rechte Fahrspur zu kommen. Merette wünschte sich, selber gefahren zu sein. Sie klammerte sich an den Haltegriff über der Tür und versuchte, nicht auf die Straße zu blicken. Als sie hinter einem Lastwagenhingen, der trotz Jan-Oles wütendem Hupen nicht auf den Seitenstreifen auswich, schluckte Merette schwer und stellte die Frage, die ihr schon die ganze Zeit im Kopf herumging: »Als ich da an der Hütte war, glaubst du, dass es möglich gewesen sein kann …«
    Sie blickte zu Jan-Ole, ohne den Satz zu beenden.
    »Kann sein, kann auch nicht sein. Ja«, setzte er nach kurzem Zögern hinzu, »wenn du recht hast und es ist die Hütte, dann war Marie wahrscheinlich bereits da.«
    »Und ich habe nichts davon geahnt! Ich hätte nur zur Tür gehen müssen und …«
    »Hör auf, Merette, das bringt es nicht! Warum hättest du das tun sollen? Du bist zufällig über ein verlassenes Sommerhaus gestolpert, mehr nicht. Kein Mensch hätte auf die Idee kommen können, dass da etwas nicht stimmte. Jetzt können wir nur hoffen …«
    »Dass es noch nicht zu spät ist. Dass Marie überhaupt noch lebt! Und dass Julia …«
    »Hör auf!«, wiederholte Jan-Ole.
    Er schob eine CD in den Player, als wollte er jedes weitere Gespräch vermeiden. Gleichzeitig fummelte er sein Handy aus der Tasche, um die Kollegen zu informieren.
    »Ich bin auf dem Weg nach Telavåg. Ja, auf Sotra, natürlich. Es sieht so aus, als hätten wir endlich eine Spur. Kann sein, dass unser Mann sich da in einer Sommerhütte verkrochen hat. Und ich brauche Verstärkung, schickt unbedingt auch gleich einen Rettungswagen mit, ich habe keine Ahnung, was wir da vorfinden. Die genaue Wegbeschreibung gebe ich noch durch, erst mal sollen alle nach Telavåg fahren, ich melde mich dann wieder.« Er warf das Handy in die Ablage auf dem Armaturenbrett und begann, aufdem Lenkrad den Takt der Musik mitzuschlagen.

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