Schwesterlein muss sterben
fachgerecht aufknackte, bevor sie sich dann mit fettigen Fingern das Krebsfleisch in die zahnlosen Münder stopften. Julia erinnerte sich, die beiden schon öfter gesehen zu haben, wenn sie auf dem Fischmarkt gewesen war. Sie wunderte sich, was sie um diese Uhrzeit hier immer noch machten, bis sie kapierte, dass auch sie sich gegen Geld mit irgendwelchen Touristen fotografieren ließen – zwei »Originale«, die ihre Kundschaft je nach Herkunftsland mit solchen Sätzen beglückten wie »God save the Queen und Prince Charly« oder »Deutschland is gutt, viel Bier«. Wahlweiseauch: »Ah France! Les femmes, oh lala!« Als sie für eine Gruppe von Japanern die norwegische Nationalhymne anstimmten, bog Julia in eine der Gassen hinter Bryggen ab, fünf Minuten später war sie in der Garage.
Der Club war kaum zur Hälfte gefüllt, aber wenigstens gab es definitiv keine Touristen. Allerdings konnte Julia auch sonst kein Gesicht entdecken, das sie kannte. Als die Band wieder auf die Bühne kam, wurde klar, weshalb.
Die Band war eine Cowboyband aus Narvik, die ihr Programm daraus gestaltete, dass sie alles, was jemals als Hit übers Radio gelaufen war, als Countrysong interpretierte. Das Ergebnis war irgendwie furchteinflößend – sie schreckten noch nicht mal davor zurück, John Lennon für ihre Zwecke zu missbrauchen, und »Imagine« als Square-Dance-Nummer mit jaulender Geige ließ Julia schnellstens auf den Tresen zusteuern und wahllos den erstbesten Cocktail hinunterstürzen, den die Bar im Angebot hatte.
Ganz offensichtlich aber gab es in ihrer Heimatstadt doch so was wie einen Hardcore-Fanclub für schlechte Musik, dessen Mitglieder nach jedem Song begeistert johlten und pfiffen. Und irgendwann identifizierte Julia auch den einsam auf der Tanzfläche vor sich hin zuckenden Typen im schwarzen Sheriffkostüm als ihren Kommilitonen Erik. Als die Band immerhin folgerichtig »I shot the sheriff« anstimmte, wünschte sie sich für einen Moment nichts sehnlicher als einen sechsschüssigen Colt, um dem Elend vor sich ein Ende zu bereiten. Eine Kugel für Erik, vier für die Band und die letzte für sich selbst. Ihr war klar, dass sie schnellstens aus dem Club verschwinden musste.
Aber genau da schob der Barkeeper ihr einen neuen Cocktail hin. Auf ihren fragenden Blick nickte er zum anderenEnde der Theke hinüber, von wo sich prompt ein Cowboy löste, um dann grinsend auf sie zugestiefelt zu kommen und sich auf den Barhocker neben ihr zu schieben.
Als Julia die gepiercte Augenbraue und das Tattoo an seinem Hals sah, wusste sie, wem sie ihren neuen Drink zu verdanken hatte – auch wenn er jetzt statt des verschwitzten T-Shirts ein rotseiden schimmerndes Cowboyhemd und diesen lächerlichen Hut trug. Die Art, wie sein Blick gleich darauf wieder über ihr Dekolleté wanderte, ließ keinen Zweifel zu. Der Cowboy war ohne Frage der eine der beiden Gärtner vom Nachmittag.
»Und?«, brüllte er ihr über die Musik hinweg zu. »Schlüssel gefunden?«
Julia tat seine Frage mit einer vagen Schulterbewegung ab.
Er schob sich den Hut aus der Stirn. »Ich bin’s«, erklärte er unnötigerweise. »Du weißt schon, heute, bei dir am Haus, der Gärtner! Ich heiße übrigens Peer.« Er streckte ihr die Hand hin. »Und du?«
Julia gab keine Antwort, sondern tat so, als hätte sie seine Frage nicht gehört.
Er ließ trotzdem nicht locker.
»Julia, richtig? Hab ich auf dem Klingelschild gesehen. Wollte wissen, wie du heißt. Ganz oben in der Dachwohnung, stimmt doch, oder? Hätte ich nicht gedacht, dich hier zu treffen. Siehst eigentlich nicht so aus, als ob du auf Country stehen würdest.«
»Tu ich auch nicht«, quetschte Julia mit zusammengepressten Lippen hervor. »Ich muss jetzt auch los. Danke für den Drink.« Sie stand auf.
»Aber wieso? Du bist doch gerade erst gekommen …«
Julia zuckte wieder mit den Schultern und schenkte Peer ein kurzes Lächeln, von dem sie hoffte, dass es als Erklärung reichen würde.
»He, warte mal …«
»Ich bin noch verabredet, sorry.«
Sie war schon halb über die Tanzfläche, als sie merkte, dass der Gärtner hinter ihr herkam.
»Muss sowieso mal an die Luft. Kann ich dich auch da hinbringen, wo du hinwillst. Ist sicherer. Ich meine, so als Frau alleine kommt nicht so gut mitten in der Nacht. Viel schräges Volk unterwegs und so. Brauchst du nur den falschen Typen zu treffen.«
Julia schaffte es, ohne Antwort bis zum Ausgang zu kommen. Als sie an dem Türsteher vorbei waren, griff
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