Schwesterlein muss sterben
ihn und als würde er lieber in irgendeinem Kellerloch mit ein paar anderen Halbtoten satanische Messen abhalten. Von den Brusthaaren, die ihm oben aus dem grundsätzlich schwarzen T-Shirt wucherten, mal ganz zu schweigen. Außerdem studierte er im Nebenfach Philosophie, und es reichte Julia schon völlig, dass er bei ihrem gemeinsamen Projekt keine Gelegenheit ungenutzt ließ, um irgendwelche existentialistischen Theorien anzubringen. Kurz: Sie hatte Erik schon länger von ihrer persönlichen Hitliste möglicher Liebhaber gestrichen und im Hinterkopf unter »no way« abgespeichert.
Allerdings fand sie den Gedanken, den Rest des Abends alleine zu verbringen, wenig überzeugend, sie hatte irgendwie Lust, ihr kleines Besäufnis vom Nachmittag zu einem gelungenen Abschluss zu bringen – am besten mit vielen Gleichgesinnten und bei ohrenbetäubender Live-Musik, und dafür war die Garage erste Wahl. Zumindest würde sie dort jedes Risiko vermeiden, sich mit Erik unterhalten zu müssen, und vielleicht würde sie ja sogar die Energie aufbringen, ihm im Gewühl auf der Tanzfläche endlich zu stecken, dass es sinnlos war, sie weiter anzubaggern.
»Sinnlos«, kicherte sie vor sich hin und dachte, dass das genau die richtige Wortwahl für den selbsternannten Existentialisten sein sollte.
Julia entschied sich nach längerem Hin und Her für ihren Lieblingsmini und das enge Top und gestand sich schließlich noch eine weitere Viertelstunde zu, um sich eine kleine Pizza in der Mikrowelle warm zu machen. Wenn sie den Verlauf der vor ihr liegenden Nacht richtig einschätzte, konnte es nicht schaden, eine ordentliche Mahlzeit im Bauch zu haben.
Dann putzte sie sich noch mal die Zähne, überprüfte Lippenstift, Lidschatten und Wimperntusche und war so weit, dass sie der Welt da draußen zuversichtlich ins Auge blicken konnte.
Mit den vielen Tischen und Stühlen und dem Gedränge in der Fußgängerzone, die zum Torget hinunterführte, konnte man sich tatsächlich fühlen wie in einem Ferienort irgendwo weit weg im Süden. Es war Freitagabend, keiner musste am nächsten Morgen früh raus, und jeder in dieser Stadt wusste nur zu gut, dass irgendein nordatlantisches Tief schon darauf lauerte, die Straßen und Plätze wieder in stumpfem Grau erstarren zu lassen. Also galt es, die paar Sommerstunden, die ihnen blieben, in vollen Zügen zu genießen – und genau das hatte Julia auch vor.
Auf dem Fischmarkt kamen dann wie üblich auch noch die Kreuzfahrt-Touristen dazu, die mit Reisebussen von den Liegeplätzen der Schiffe angekarrt worden waren, um über Bergens »Bryggen« herzufallen. Die Touristen hatten sich in den letzten Jahren zu einem echten Problem für die Einwohner der Stadt entwickelt. Wenn man auch gutes Geld mit ihnen verdiente, waren sich doch alle einig, dass ihre Anzahl allein längst jenseits jeder Toleranzgrenze lag. Aber ganz sicher gab es keinen Straßenmusiker, der nicht gegen bare Münze gerne mit irgendwelchen Deutschen, Holländern oder Italienern für ein Erinnerungsfoto posierte, und der Typ, der als lebende Trollpuppe auf einer Fischkiste seine Nummer abzog, verdiente wahrscheinlich alleine an diesem Wochenende so viel, dass er damit gut über den Winter kommen würde – immer vorausgesetzt, er würde wie ein echter Troll von Würmern und Wurzeln leben.
Als der Troll plötzlich leise ihren Namen rief, zuckte Julia erschrocken zusammen. Sie brauchte einen Moment, bis sie ihn einordnen konnte. Er war ein alter Schulfreund von Hendrik, der in der Uni-Klinik als Krankenpfleger arbeitete und von dem Hendrik aus verlässlicher Quelle wusste, dass er im größeren Stil mit Gras dealte und angeblich mehr oder weniger die gesamte Belegschaft an Assistenzärzten zu seinem Kundenkreis gehören sollte, außerdem auch ein Großteil der Patienten, die zur Entgiftung in der Sozialpsychiatrie gelandet waren. Dass er in seiner Freizeit als Kleinkünstler auftrat, war Julia neu, aber es interessierte sie auch nicht weiter. Sie stand weder auf lebende Trollpuppen noch auf Hilfsdealer. Allerdings machte es sie stutzig, dass er ihren Namen kannte!
Julia nickte ihm kurz zu und schob sich weiter durch das Gedränge. An der Hafenmauer blieb sie einen Moment stehen, um zwei alte Männer in schwarzen Anzügen und mit weißem Hemd und Krawatte zu beobachten. Der eine hatte eine gut gefüllte Plastiktüte bei sich, aus der er frische Krebsscheren zu Tage förderte, die der andere auf dem rissigen Beton der Mauer mit einem Hammer
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