Schwesterlein muss sterben
gesehen, als er ihr das Handtuch zuwarf, damit sie sich abtrocknen konnte. Ihr Blick war eine stumme Bitte gewesen, dem grausamen Spiel ein Ende zu bereiten. Keine Spur von Aufsässigkeit, nicht der geringste Versuch, ihn auszutricksen. Nur ihr keuchender Atem nach dem Schwimmen im kalten Wasser, das bleiche Oval ihres Gesichts, das im Dämmerlicht hinter der offenen Hüttentür wie wächsern wirkte, und eben dieser Blick, der um Gnade flehte. Sie schien jede Hoffnung begraben zu haben und sich still in ihr Schicksal zu fügen.
Dazu passte auch, dass sie keinerlei Anstalten machte, ihren nackten Körper vor ihm zu verbergen. Im Gegenteil! Sie hatte noch nicht mal darauf gewartet, dass er sich umdrehte, hatte nur ihr nasses T-Shirt über den Kopf gezogen und die Unterwäsche abgestreift. Für einen Moment hatte er den Gedanken gehabt, ob sie ihn womöglich anmachen wollte, er wusste ja, wie solche Schlampen tickten, und er war tatsächlich kurz versucht gewesen, ihr zu geben, was sie wollte, ihr hart in die kleinen Brüste mit den steifen Warzen zu greifen, sie zu Boden zu werfen und sich auf sie zu stürzen und … Aber dann war er doch nur vor die Hütte gegangen und hatte mit zittrigen Fingern eine Zigarette geraucht, während ihm der Schweiß unter der Zwergenmaske über das Gesicht und den Nacken strömte und er sich dafür verfluchte, dass ein Paar nackte Brüste ihn fast die Kontrolle verlieren ließen. Bis ihm klar wurde, dass sie nie vorgehabt hatte, ihn zu verführen, sondern ihr längst alles egal war. Er würde alles mit ihr tun können, ohne dass es irgendeine Bedeutung für sie hätte.Sie war ihm vollständig ausgeliefert, und sie wusste, dass er es auch wusste – dieses Gefühl von uneingeschränkter Macht war besser als alles andere, was er sich vorstellen konnte.
Heute Morgen hatte er ein paar notwendige Einkäufe gemacht, das Mädchen musste schließlich auch irgendwas essen, wenn er das Spiel mit ihr noch eine Weile fortsetzen wollte. Er war extra bis zu der Tankstelle in Solvik an der Nordseite von Sotra gefahren, um nicht irgendjemandem aufzufallen. Dann war er auf direktem Weg zurück zum Versteck und hatte sich den kleinen Spaß erlaubt, erst laut pfeifend um den Schuppen herumzulaufen, als wäre er ein Wanderer, der sich neugierig das verlassene Grundstück ansah. Tatsächlich hatte sie auch zwei- oder dreimal um Hilfe gerufen, bis ihr klar wurde, dass die Schritte nicht von einem zufälligen Besucher stammen konnten.
»Schön brav sein!«, hatte er ihr zugeflüstert, als er schließlich mit der Zwergenmaske vor dem Gesicht den Schuppen betrat und die Tüten abstellte. »Wer brav ist, bekommt heute Abend auch was zu essen.«
Ihr leises Wimmern hatte einen Adrenalinstoß in ihm ausgelöst, der ihn für einen Moment regelrecht high werden ließ. Ohne ein weiteres Wort hatte er sie wieder eingeschlossen und war dann auf dem von Unkraut überwucherten Weg zurück bis zur Teerstraße gefahren, hatte das Moped in ein Gebüsch am Straßenrand geschoben und war über die Felsen bis zum Meer gelaufen. Er kannte den alten Friedhof von Telavåg schon, seit er als Junge ein paar Sommer lang die Ferien hier verbracht hatte, und er kannte auch den Trampelpfad zu der Felsenrinne, in der man mit ein bisschen Geschick zum Friedhof hinunter absteigen konnte, ohne ein Boot benutzen zu müssen.
Sein Adoptivvater hatte es ihm damals erklärt – die Wiese, die eingeklemmt zwischen den Felsen direkt am offenen Meer lag, war wahrscheinlich das einzige Fleckchen Erde weit und breit, das nicht für den Anbau von Kohl oder Gemüse taugte. Und da jede Krume Ackerboden auf der felsigen Insel zu wertvoll war, um sie als Friedhof zu vergeuden, begruben die Dorfleute ihre Toten schon seit ewigen Zeiten auf dieser sumpfigen Uferwiese, auch wenn der Sarg und die Trauergäste nur mit dem Boot hierhergelangen konnten.
Er hatte eigentlich nur aufs Meer blicken wollen und zwischen den Grabkreuzen umherwandern, um sich an früher zu erinnern, als er mit seiner kleinen Schwester hier Verstecken und Cowboy und Indianer gespielt hatte – als er jetzt den Pastor auf der Wiese entdeckte und die Stimmen der Trauergäste vom Anleger her hörte, war es wie ein Schock, als wäre jemand unerlaubt in sein Gebiet eingedrungen.
Er hatte nicht erwartet, dass der Friedhof immer noch benutzt wurde, und er hatte noch viel weniger damit gerechnet, dass es ausgerechnet heute eine Beerdigung geben würde.
Gerade noch rechtzeitig wich er
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