Schwesterlein muss sterben
ich schwöre! Nur reden, sonst nichts.«
Julia musste unwillkürlich lächeln. Er war süß in dem Bemühen, seinerseits mit der Situation klarzukommen. Sie wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sie ein Geräusch an der Wohnungstür aufhorchen ließ. Dann klingelte es, und jemand klopfte zusätzlich ungeduldig gegen die Tür. Julia kannte nur eine Person, die diese nervtötende Angewohnheit hatte.
»Mist«, fluchte sie. »Das ist meine Mutter, ich hab völlig vergessen, dass wir verabredet sind.«
Sie streifte sich das erstbeste T-Shirt über. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Mikke aufsprang und hektisch in seine Jeans schlüpfte.
»Deine Mutter?«, stieß er hervor. Seine Stimme klang, als hätte sie gesagt, die Polizei stünde vor der Tür. Julia konnte nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken, er benahm sich wirklich wie ein kleiner Junge, der gerade bei etwas Verbotenem ertappt worden war und jetzt Angst vor der Bestrafung hatte.
»Ganz ruhig, Mikke. Sie beißt nicht. Gib mir einen Moment,damit ich sie vorbereiten kann, dann stelle ich euch vor. – Alles okay?«, fragte sie noch mal nach, als er sie nur wortlos anstarrte.
Sie hauchte ihm einen Kuss zu.
»Ich setze sie in die Küche und koche ihr erst mal Kaffee. Dann hole ich dich.«
Das Letzte, was sie von Mikke sah, waren seine Augen, die ziellos durch ihr Zimmer irrten, als würden sie nach einem Fluchtweg suchen. Fehlte nur noch, dass er sich gleich im Schrank versteckt, dachte Julia.
Als sie ihre Mutter in die Wohnung ließ, wollte Merette sie in den Arm nehmen: »Gott, Mädchen, du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dich zu sehen.«
»He«, sagte Julia nur abwehrend. »Schön, dass du da bist, Mama.« Sie merkte selbst, dass sie eher resigniert als erfreut klang, und bemühte sich, die missglückte Begrüßung wenigstens durch ein Lächeln wiedergutzumachen. »Komm, ich koche erst mal Kaffee für uns. – Du hast Brötchen mitgebracht? Toll, danke. Ich hab auch noch gar nichts gegessen heute.« Sie nahm Merette die Brötchentüte ab und ging vor ihr her zur Küche, während sie unentwegt weiterredete. »Hier ist das Bad, die Badewanne mit den Löwenfüßen ist doch echt cool, oder? Und hier geht es in mein Zimmer, mit der Dachterrasse, aber das kann ich dir alles später noch zeigen. So, das ist die Küche. Ich habe mir übrigens überlegt, dass ich mir vielleicht einen Geschirrspüler besorge, und mit dem Vermieter muss ich noch mal reden, die eine Herdplatte funktioniert nicht, aber sonst siehst du ja selber, es ist echt toll! Setz dich doch, ich habe eine neue Kaffeesorte entdeckt, in dem Bioladen gleich hinter der Post, in der Strandgate, kommt aus Guatemala, irgendein Fairtrade-Produkt,eine Fraueninitiative aus dem Hochland da, ein Teil des Geldes fließt direkt in das Projekt, und du wirst gleich sehen, der Kaffee ist echt klasse …«
»Stop it, Julia«, unterbrach ihre Mutter sie. »Irgendwas stimmt doch nicht mit dir. Würdest du bitte aufhören, mich vollzutexten, und einfach mal sagen, was los ist?«
Julia füllte die Espressokanne auf und schaltete den Herd ein.
Dann standen sie sich einen Moment gegenüber. Julia versuchte, dem Blick ihrer Mutter nicht auszuweichen.
»Was soll ich sagen, Mama? Ich war sauer auf dich, das hast du ja wohl gemerkt. Es tut mir auch leid, dass ich dich so angefahren habe, aber ich fand es völlig unmöglich, wie du dich aufgeführt hast. Deshalb habe ich dich auch gestern nicht sehen wollen. Ich hab’s dir ja schon gesagt, ich bin alt genug, um auf mich selber aufpassen zu können. Und es geht dich echt nichts an, mit wem ich nachts unterwegs bin …«
Julia brach mitten im Satz ab, als ihre Mutter jetzt den Stuhl zurückzog und sich setzte. Julia sah, dass ihre Hände zitterten, als sie sich eine Zigarette zwischen die Lippen schob und dann in ihrer Handtasche nach dem Feuerzeug suchte.
Julia nahm die Streichholzschachtel von dem Brett über der Spüle und warf sie Merette wortlos zu. Merette rauchte hastig zwei oder drei Züge, dann hielt sie beide Hände hoch, als wollte sie sich geschlagen geben.
»Ich entschuldige mich, wenn du das Gefühl hattest, dass ich dir zu nahe kommen würde oder mich zu sehr in dein Privatleben einmische. Aber ich hab meine Gründe gehabt. Es ist ganz anders, als du denkst.«
»Dann rede einfach mit mir«, sagte Julia. »Aber behandel mich nicht wie eine Fünfzehnjährige! Ich hab schon mitgekriegt, dass dir irgendwas zu schaffen macht, aber wenn du willst,
Weitere Kostenlose Bücher