Schwesterlein muss sterben
verliebt hatten, dann kurze Zeit darauf zusammen nach Bergen gegangen und jetzt stolze Eltern einer Tochter, Julia, waren.
Im nächsten Absatz ging es vor allem um die Erfolge, die Jan-Ole bei der Kripo vorweisen konnte, angeblich war er bekannt für seine »unorthodoxen Ermittlungsmethoden, die ihm bei den Kollegen nicht immer Sympathie eingebracht haben, aber eine überdurchschnittliche hohe Aufklärungsquote, die jedem Roman-Kommissar zur Ehre gereichen würde«, wie der Redakteur in dem offensichtlichen Versuch, Jan-Ole als so eine Art neuen Van Veeteren darzustellen, zu berichten wusste. Und dann kam Jan-Ole selbst zu Wort: »Das Problem ist, dass unsere Berufe so unterschiedlich sind und uns kaum die Chance lassen, als ganz normale Familie miteinander zu leben. Wir mussten in den letzten Jahren leider immer öfter feststellen, dass wir gar keine Zeit mehr füreinander haben, und das macht es nicht einfacher, zumal wenn dann auch noch irgendwelche Probleme auftauchen, wie es sie in jeder Familie gibt. Deshalb steht meine Entscheidung fest, ich werde mit Ende des Jahres den Dienst quittieren und einen Schlussstrich unter meine Arbeit als Ermittler ziehen.«
Der Artikel endete mit der Frage des Redakteurs, womit Jan-Ole seine neu gewonnene Zeit verbringen wollte, undJan-Ole hatte geantwortet: »Ich wollte schon immer malen. Das ist ein alter Traum von mir, morgens ausschlafen zu können und dann rüber ins Atelier zu gehen, um endlich die Bilder zu malen, die ich schon lange im Kopf habe.«
Von »Anna M. Schulman« gab es keine Aussage weiter in dem Artikel, weder zu Jan-Oles Entscheidung noch zu ihrer eigenen Zukunft.
Er starrte einen Moment irritiert auf den Bildschirm und versuchte, die Informationen zu sortieren. Die Psycho-Schlampe war also mit einem Exbullen verheiratet. Aber irgendetwas passte da nicht, sie machte nicht den Eindruck, als gäbe es einen Ehemann in ihrem Leben, und er erinnerte sich auch genau daran, dass auf dem Klingelschild zu ihrer Privatwohnung nur ihr eigener Name gestanden hatte.
Aus einer spontanen Eingebung heraus tippte er »Jan-Ole Andersen, Maler« in die Suchmaschine. Und tatsächlich gab es einen Eintrag unter »Jan-Ole Kunst«, der ihn auf Jan-Oles Homepage leitete. Die Seite war aufwändig und professionell gestaltet. Nach den Fotos zu urteilen, hatte Jan-Ole sich kaum verändert, nur dass er jetzt lange, graue Haare hatte, die zu einem Zopf zusammengebunden waren, und er trug eine schwarze Wollmütze, die so was wie sein Markenzeichen zu sein schien, zumindest hatte er sie sowohl in seinen Atelier als auch bei irgendwelchen Ausstellungseröffnungen auf. Jan-Oles Bilder waren durchweg großformatige Porträts von Rockmusikern, wobei es sich ausschließlich um Musiker handelte, die bereits gestorben waren. Die Bilderfolge unter dem Link »Jan-Ole’s Gallery« trug entsprechend auch den Namen »Dead Beats and Old Rockers«.
Als Kontaktadresse für das Atelier war irgendeine Insel an der Küste angegeben, weiter südlich in der Nähe von Haugesund.Jan-Ole wohnte also auch nicht mehr in Bergen, sondern hatte sich abgesetzt.
Das passte zumindest zu seiner Einschätzung, dass die Psycho-Schlampe alleine lebte. Was er mit den anderen Informationen anfangen sollte, wusste er noch nicht, allerdings verspürte er eine leichte Unruhe bei dem Gedanken, dass dieser Jan-Ole ein Exbulle war. Selbst wenn er nicht mehr mit der Psycho-Schlampe zusammen war und seine Zeit damit verbrachte, tote Rockmusiker zu malen, konnte es durchaus sein, dass sie ihn um Hilfe bitten würde. Und wenn er seinen Plan weiterverfolgte und Julia tatsächlich in seine Gewalt bringen würde, hatte er also aller Wahrscheinlichkeit auch noch einen Exbullen im Nacken! Es war gut zu wissen, was ihn eventuell erwartete, dachte er, aber letztendlich war auch das nichts als ein weiterer Kitzel, und er war ihnen allen um einen Schritt voraus!
Er grinste. »Be prepared«, sagte er halblaut vor sich hin, als er den Computer ausschaltete.
Die Bibliothekarin war in eine erregte Diskussion mit irgendeinem Spießer verstrickt, der offensichtlich eine Beschwerde hatte. Er schnappte sich nur seinen Rucksack und zwinkerte ihr kurz zu, um ihr zu zeigen, dass er wusste, was für einen nervigen Job sie hatte.
Als er die Stufen hinunter zu seinem Moped ging, zog eine Wolkenbank über dem Ulriken herauf. Vielleicht würde es zum ersten Mal seit Tagen wieder Regen geben. Die Luft war feucht und stickig, er mochte diese Stimmung,
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