Schwesterlein muss sterben
interessieren.«
»Was? Was könnte mich interessieren?«
»Da war neulich so eine Alte hier bei dir, Freitagabend, um genau zu sein. Hat versucht, bei dir durchs Fenster zu gucken. So um die fünfzig vielleicht. Blond. Enger Rock und hochhackige Schuhe. Sah nicht schlecht aus, zumindest wenn man auf ältere Semester steht. Raucht aber zu viel. Sagt dir das was?«
»Nicht wirklich. Kenn ich nicht.«
Er war jetzt auf der Hut. Die Beschreibung, die die Glatze ihm geliefert hatte, passte ohne jeden Zweifel auf die Psycho-Schlampe. Er rechnete. Freitag Vormittag hatte sie ihn zu sich bestellt – und er hatte die Sitzung vorzeitig abgebrochen, sie war wütend gewesen und ausgeflippt. Aber warum sollte sie dann abends zu ihm gefahren sein? Um ihn zur Rede zu stellen? Durfte sie das als Psychologin überhaupt, einen Patienten zu Hause aufsuchen? Das konnte nur bedeuten, dass er sie tatsächlich aus dem Konzept gebracht hatte! Er musste trotzdem vorsichtig sein, er hatte sich bereits schon mal zu früh gefreut. Und er hatte keine Ahnung, wie sie wirklich tickte, jetzt eher noch weniger. Vielleicht hatte sie ihn auch nur überrumpeln wollen. Oder hinter ihm herschnüffeln, ihre Nase in Sachen stecken, die sie nichts angingen. Also hatte er doch ihr Interesse geweckt. Und das war in jedem Fall ein Punkt für ihn, so sah es aus. Sie hatte ihm zeigen wollen, dass er nichts war als eine Marionette, mit der sie nach Belieben umspringen konnte. Und dass er noch nicht mal bei sich zu Hause vor ihr sicher war. Ein Machtspiel, nichts weiter. Aber er war nicht da gewesen! Ein Punkt für ihn, so sah es aus.
»He, jetzt komm schon!«, meldete sich die Glatze wieder zu Wort. »Sie hat jedenfalls behauptet, sie kennt dich. Ist doch auch nichts dabei, wenn du die Alte von Zeit zu Zeit knallst!«
Er hätte der Glatze am liebsten das dummdreiste Grinsen aus dem Gesicht geprügelt. Gleichzeitig merkte er, wie er bei der Vorstellung rot wurde, dass er irgendetwas mit der Psycho-Schlampe haben könnte.
»Lass mich in Ruhe«, presste er zwischen den Zähnen hervor und nahm seinen Rucksack. »Scheiß drauf.«
Aber die Glatze ließ nicht locker. »Sie hat versucht, mich über dich auszufragen. Willst du nicht wissen, was sie so interessiert hat? Ich meine, viel konnte ich ihr ja auch nicht sagen, ich kenne dich ja kaum.« Die Glatze hielt ihn am Arm fest. »Ein Bier vielleicht? Ich zahl auch.«
»Vergiss es.«
Die Glatze hob resigniert die Hände. »Schon klar. Ich dachte ja nur. Ich hab sie nämlich voll auflaufen lassen, deine Alte. Nur für den Fall, dass ihr da gerade irgendein Problem habt. Geht mich ja nichts an, aber …«
»Genau. Es geht dich nichts an.«
Er packte den Glatzkopf am Anzug und zog ihn zu sich, bis er sein Rasierwasser riechen konnte. »Bist du schwul, Alter, oder was ist mit dir los?« Dann stieß er ihn zurück gegen die Briefkästen. »Ich steh nicht auf Schwule, nur dass du es weißt!«
Er verließ das Haus, ohne sich noch mal umzublicken. Diesmal nahm er den direkten Weg durch die Toreinfahrt, noch im Gehen setzte er sich den Helm auf. Als er nach rechts die Straße runterblickte, war der Audi mit den zwei Typen verschwunden.
Er schloss das Moped auf und fuhr bis zur Strømgate auf dem Fußweg. Eine ältere Frau rief etwas von »Unverschämtheit« und »Polizei«, er kümmerte sich nicht weiter um sie. Der schwere Rucksack auf seinem Rücken war ungewohnt, beim Abbiegen hatte er Mühe, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Fünf Minuten später war er in der Stadtbibliothek. Die Bibliothekarin hinter dem Informationstresen hatte karottenrote Haare, die wirr nach allen Seiten abstanden, und trug einen Button mit dem Bild von David Bowie. Sie begrüßte ihn mit einem freundlichen Nicken, als sie lächelte, sah er die Grübchen in ihren Mundwinkeln. Er bat darum, den Rucksack bei ihr abstellen zu dürfen.
»Ist auch keine Bombe drin«, sagte er und zwinkerte ihr zu, »nur zwanzig Kilo Koks.« Er liebte solche kleinen Scherze – der nette Typ, der immer einen coolen Spruch auf Lager hatte und bei dem niemand ahnte, wer er in Wirklichkeit war.
»Willst du aufs Fjell?«, fragte die Bibliothekarin, während sie seinen Rucksack vor einen Stapel ausrangierter Bücher schob. »Ich war im Mai auf dem Rundwanderweg in Jotunheimen. Aber wir hatten Pech mit dem Wetter. Es war noch zu früh im Jahr.«
»Nee, Wandern ist nicht so mein Ding. Ich steh mehr auf die Schärenküste, vielleicht ein bisschen angeln und
Weitere Kostenlose Bücher