Schwestern der Nacht
Besonderes«, gab er zurück. »Ich muß nur in letzter Zeit öfter an den Tod denken, das ist alles.« Sein nasses Haar hing ihm wirr in die Stirn; es bildete einen krassen Kontrast zu der tödlichen Blässe seines Gesichts, aber er strahlte eine sonderbare Schönheit aus.
Sie bürstete weiter; nach einer Weile setzte sie ihr Verhör auf dieselbe ausdruckslose Art fort: »Weshalb plötzlich so morbide?«
»Tja, keine Ahnung. . .« Er machte sich an der Zentralheizung im Schlafzimmer zu schaffen. Seine Frau verschwand ins Bad. Während ihrer Abwesenheit lag er mit offenen Augen rücklings auf dem Bett. Schließlich war sie wieder da, in einen beigen Morgenrock gehüllt.
»Immerhin sind wir noch nicht geschieden, stimmt's?« bemerkte sie, streifte den Bademantel ab und blieb, bevor sie ins Bett kroch, einen Moment nackt vor ihm stehen. Der Umriss ihres Körpers wurde vom Licht der Nachttischlampe als dunkler Schatten an die Zimmerdecke geworfen.
Ohne sich zu ihr umzudrehen, erwiderte er: »Vielleicht liegt's daran, daß wir Christen sind.« Seine Stimme war so leise, daß sie ihn kaum verstehen konnte.
Sie rollte sich auf die Seite und betrachtete das Profil ihres Mannes.
»Weißt du, du bedeutest mir immer noch sehr viel. Es ist, als wärst du ein Teil von mir.«
Dann wurde es still im Raum; nicht einmal ihre Atemzüge störten das tiefe Schweigen. Plötzlich glitt Ichiro aus dem Bett, blieb auf dem kalten Fußboden stehen und sah auf seine Frau hinunter, die ihre Augen mittlerweile geschlossen hatte. Sie rührte sich nicht. Unter ihren Wimpern glaubte er zarte Schatten zu erkennen. Er beugte sich zu ihr hinab und zog die Bettdecke weg, wodurch ihr weißer Körper enthüllt wurde; sie regte sich immer noch nicht. Er vergrub sein Gesicht in ihrer Scham, umspannte mit den Händen ihre Brüste, nichts. Nach einer Weile hob er den Kopf; sein Blick war leer. Er legte die Hände auf ihren Bauch; ihre Haut war weich, aber nicht so weich wie die seiner Opfer.
Er dachte an das Kind, das mit ekelerregenden Missbildungen das Licht der Welt erblickt, dessen Geburt sich zwischen ihn und seine Frau gestellt hatte. Er warf sich auf sie, küßte sie wie rasend ab — ihre Brüste, ihre schmale Taille, ihre Achselhöhlen. Sie zuckte krampfartig, doch ihre Augen blieben geschlossen.
Einige Zeit später gab er es auf und begann zu schluchzen — aber waren es wirklich Tränen? War es nicht vielmehr hysterisches, verzweifeltes Lachen? Wieder einmal war er bei seiner Frau impotent — wie schon vor einer Woche ... vierzehn Tagen ... einem Jahr... zwei Jahren...
Taneko schlug die Augen auf und starrte ihn schweigend an; ihr Blick reichte aus, jegliches Gefühl abzutöten.
Er schlich wie ein besiegter Kämpfer mit hängenden Schultern zu seiner Seite des Bettes zurück.
2
Am 5. Januar nahm Ichiro die 12-Uhr-Maschine zurück nach Tokio. Der Himmel war klar und wolkenlos, so daß er trotz der großen Entfernung den reinweißen Kegel des Fujiyama erkennen konnte. Plötzlich fiel es ihm schwer zu glauben, daß Ende letzten Jahres zwei Frauen in Tokio ermordet worden waren. Fusako Aikawas Anblick, nackt und tot in dem dunklen feuchten Zimmer in Koenji, war fast völlig aus seinem Gedächtnis verschwunden. Wie hatte er nur befürchten können, man würde ihn dieses Verbrechens beschuldigen! Er hatte einfach nur Angst vor einem Skandal gehabt, das war alles.
Trotzdem, den Namen Sobra sollte er nicht mehr benutzen. Er könnte sich einen britischeren, seriöseren Namen zulegen. Hume vielleicht, oder Wigland; das waren gute Namen.
Wirklich, die Zeit war reif für eine Veränderung, aber gerade ihm sollte das nicht schwerfallen; die Furcht, gejagt zu werden, verblaßte immer mehr. Er nahm der Stewardess eine Tasse Tee ab. Neben ihm war ein fetter Ausländer in das Kreuzworträtsel einer englischsprachigen Zeitung vertieft. Ichiro fühlte sich in dieser Umgebung sicher wie in einem Kokon — der Dicke, die lächelnde Stewardess, die anderen Fluggäste um ihn herum. Er hatte mit dem Tod der beiden Frauen nicht das geringste zu tun; purer Zufall, daß sie beide seine Geliebten gewesen waren. Er mußte nur noch den Namen Sobra ablegen, und Ichiro Hondas Verbindung zu den Mordopfern war abgeschnitten. Er schrieb mit der Fingerspitze >Sobra< auf das Fenster und wischte es wieder aus.
Ein Spiel namens >Kappen< oder >Schwänzeln< kam ihm in den Sinn — er hatte schon beide Bezeichnungen dafür gehört. Man nimmt die letzte Silbe eines Wortes
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