Schwestern der Nacht
immer mit meiner Frau zusammen.«
»Bestell deinem Schwiegervater doch einen schönen Gruß von mir.«
Honda wirkte während des kurzen Wortwechsels vollkommen gelassen, er strahlte geradezu, doch als der andere verschwunden war, fiel sein Gesicht in sich zusammen; es wurde wieder ernst und erschöpft.
Er kaufte mehrere Ausgaben der Abendzeitungen, aber in keiner stand etwas über den Mord an Fusako Aikawa.
Nach der Arbeit schlenderte er die Ginza entlang und versuchte sich abzulenken, indem er die Schaufensterauslagen von Damenschuhen betrachtete und sich hinter ein Mädchen stellte, das diverse Schals anprobierte. In Shinjuku angekommen, ging er in eine riesige Pachinko-Halle, die vormals ein Nachtklub gewesen war. Treppe und Decke waren seinem Geschmack nach viel zu prachtvoll für einen Spiel-Salon. Er sah sich um; die Spieler, allesamt von ihren Automaten gefesselt, schienen in dem ohrenbetäubenden Lärm völlig aufzugehen. Vielleicht schaffte er das ja auch. Er holte sich für 100 Yen Kugeln und ließ sich vor dem nächstbesten unbesetzten Automaten nieder. Beim Spielen fiel ihm ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen auf, das ihn hinter der Maschine hervor heimlich beobachtete. Sie hatte schmale Augenschlitze, die dick mit Mascara bestrichen waren, und war ganz offensichtlich an ihm interessiert. Er für sein Teil fand das eintönige Spiel langsam langweilig; seine Schale war voller Kugeln und strömte einen öligen Geruch aus. Hinter ihm stand ein Mann ungefähr seines Alters.
»Wollen Sie auch mal?« fragte er ihn.
Der Mann hatte trotz seines billigen Mantels auch seinen Stolz. Er faßte die Einladung als Beleidigung auf und bekam einen roten Kopf. Honda schenkte ihm keine weitere Beachtung, eilte aus der Spielhalle und ließ ihn und seine Kugeln zurück.
Weder an diesem noch am nächsten Tag stand der Mord in den Zeitungen, erst am dritten wurde er endlich in den Abendzeitungen gemeldet. Jetzt, wo es soweit war, traf es ihn wie ein Keulenschlag. Er kaufte alle Abendzeitungen, die er kriegen konnte, und fuhr mit der U-Bahn zu seinem Schlupfwinkel in Yotsuya Sanchome. Eingezwängt zwischen den übrigen Fahrgästen, schloß er die Augen und lauschte dem Rattern der Räder. Eine der Überschriften, die er gelesen hatte, ließ ihn nicht mehr los:
»Sobra, angeblich Algerier, Schlüsselzeuge«
Er konnte die Druckerschwärze sogar jetzt beinahe riechen. In seinem Apartment begann er, Artikel um Artikel zu lesen. Vielleicht weil er die Leiche selbst gesehen hatte, war sein Interesse diesmal stärker als damals beim Mord an der Kassiererin. Wieder und wieder hieß es:
»Sobra als wichtiger Zeuge gesucht «
Nichtsdestotrotz vermutete nur eine einzige Zeitung, und noch dazu eine zweitklassige, einen Zusammenhang zwischen beiden Verbrechen. Er kramte die zwei Monate alten Zeitungen vor, in denen über den ersten Mord berichtet wurde, befreite sie vom Staub, setzte sich hin und begann die beiden Fälle miteinander zu vergleichen.
Es gab vier Parallelen.
Erstens waren beide Frauen erwürgt worden.
Zweitens waren die Opfer unverheiratete Frauen, die allein lebten.
Drittens hatten beide offenbar intime Beziehungen zu Männern unterhalten.
Das waren die offensichtlichen Gemeinsamkeiten. In beiden Fällen vermuteten die Zeitungen einen gewissen Grad von Vertrautheit zwischen dem Mörder und seinem Opfer, da es keine Anzeichen von Gewalteinwirkung gegeben hatte. Ansonsten gab es keine Indizien von Belang.
Und dann gab es noch eine vierte Parallele, von der nur er etwas wußte. Beide Opfer tauchten in seinem >Jäger-Logbuch< auf. Dieses Faktum, jedem anderen unbekannt, war der einzige Punkt, der ihn mit beiden Fällen in Verbindung brachte. Und was konnte er schon groß dagegen tun? Nichts.
Die Dinge nahmen ohnehin ihren Lauf. Er hatte den Nachtflug nach Osaka gebucht; für ein paar Tage wenigstens würde die Jagd ruhen müssen.
Mit diesem tröstlichen Gedanken döste er ein.
Das dritte Opfer
15. Januar:
Mitsuko Kosugi wird im Midori-So-Apartmenthaus
in XX, Asagaya, Suginami-Ku, erdrosselt
I
Ichiro Honda flog Heiligabend zurück nach Osaka. Er hatte über Weihnachten und Neujahr Urlaub genommen. Auf dem Flughafen verletzte er seine Hand an einer provisorischen Sperrholzwand, die neben dem Fußweg aufgestellt worden war; die Wunde blutete leicht. Er wischte das Blut mit seinem Taschentuch ab, machte sich jedoch nicht die Mühe, die Stewardess um etwas Jodtinktur zu bitten.
Er blickte auf Tokios Lichter
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