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Schwestern der Nacht

Schwestern der Nacht

Titel: Schwestern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masako Togawa
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angekommen, klopfte er, leise zuerst, dann lauter. Keine Antwort. Er lehnte sich gegen den Besenschrank an der gegenüberliegenden Wand und dachte nach. Später erinnerte er sich genau an die Buchstaben auf der Tür: >Besenschrank<.
    Er drehte am Türknauf, und die Tür sprang — wie bei dem Apartment in Koenji — auf.
    Er trat ein und machte sie hinter sich zu. Vor ihm befand sich das kleine Spülbecken, daneben ein auf eine Schnur gespannter Vorhang, der den Wohnbereich des Zimmers abteilte.
    »Bist du da?« rief er mit absichtlich stockender Stimme. Immer noch keine Antwort. Tiefe Niedergeschlagenheit machte sich in ihm breit. Er spürte einen Druck auf der Brust; so sehr er sich auch anstrengte, er wurde das Bild von Fusako Aikawas Leiche einfach nicht los. Würde er Mitsuko Kosugi dort drinnen finden, nackt ... und tot?
    Er legte eine Hand an den Vorhang und verharrte, um sich wieder in die Gewalt zu bekommen. Dann riß er den Vorhang brutal zur Seite.
    Das Zimmer war leer.
    Aber alles sprach dafür, daß sich noch vor kurzem jemand darin aufgehalten hatte.
    Er schlenderte durch den Raum, ließ sich auf dem Drehstuhl vor dem Schreibtisch nieder und sah sich um. Vor drei Stunden hatte er sie angerufen, gleich nach ihrer Rückkehr aus den Ferien, und ihr vorgeschlagen, sie um halb zwölf irgendwo in der Stadt zu treffen. Sie war vor Freude über seinen Anruf ganz aus dem Häuschen gewesen, bestand aber darauf, daß er zu ihr kam.
    »Ich werde — äh — ganz besondere Neujahrsplätzchen für dich backen.« Sie schien nicht zu wissen, wie sie ihm das Wort »Mochi« in Englisch erklären sollte. Er hört ihre Stimme noch, während er jetzt die in Zeitungspapier eingewickelten Reiskuchen auf dem Esstisch betrachtete. Sicher war sie nur kurz weggegangen, um sich Gewürze auszuleihen. Er steckte sich eine Zigarette an und wartete.
    Während er Rauchwolken in den Raum blies, sah er sich seine Umgebung genauer an. Es war ohne Frage das Zimmer einer Kunststudentin: Bildbände von Malern standen in den Bücherregalen, gegen die Wand waren Leinwände gestapelt. Der Wandschrank stand einen Spalt breit offen, und eine rotseidene Bettdecke war darin zu sehen. Er hatte seit einem Monat mit keiner Frau mehr geschlafen; allein der Anblick des Bettzeugs reichte aus, sein Verlangen zu wecken. Er gähnte und drehte sich auf dem Stuhl herum, bis er die gegenüberliegende Wand vor sich hatte. Ein lautes Quietschen fuhr durch den stillen Raum.
    Sein Blick fiel auf einen Garderobenschrank aus Walnussfurnier, an dessen Tür ein Spiegel hing. Er starrte unwillkürlich hinein und erblickte ein Gesicht mit wirrem Haar und verbrauchtem Teint. Es war kein gesundes Gesicht.
    Und dann bemerkte er einen schmalen kastanienfarbenen Seidenstreifen, der aus der Tür heraushing. Unbewußt griff seine Hand nach seiner Seidenkrawatte — er trug zur Abwechslung einmal nicht sein Lieblingsstück. Bestand da nicht eine gewisse farbliche Ähnlichkeit mit dem Seidenstreifen? Er sah haargenau aus wie seine Lieblingskrawatte!
    Mit bleischweren Gliedern hievte er sich aus dem Stuhl und stapfte zu dem Garderobenschrank hinüber. Dieses Rätsel mußte er unbedingt lösen. Was hatte seine Krawatte in Mitsuko Kosugis Zimmer zu suchen? Seine Hand war unsicher und verfehlte den Türgriff beim ersten Versuch.
    Es war ihm unangenehm, ohne Erlaubnis in einem fremden Schrank herumzuschnüffeln. Dann aber sagte er sich, daß er schließlich nur mal nachsehen wollte — da war wirklich nichts Schlimmes dabei.
    Möglich, daß die Garderobe neu war; die Tür war kaum aufzukriegen, so daß er schließlich sein ganzes Gewicht zu Hilfe nehmen mußte. Er zog mit ganzer Kraft; das Scharnier quietschte, die Tür sprang auf und...
    Mitsuko Kosugis Leiche taumelte heraus und fiel auf ihn. Reflexartig wehrte er sie ab und drängte sie zurück, spürte dabei die noch vorhandene Wärme. Er registrierte den Duft ihres Haars, der allerdings von dem viel eindringlicheren, halb süß, halb sauren Geruch überlagert wurde, der ihm schon in Fusako Aikawas Wohnung aufgefallen war.
    Voller Entsetzen drehte er den Kopf zur Seite, stopfte den Körper zurück in den Schrank und drückte die Tür mit Gewalt zu. Seine Hände zitterten, seine Zähne klapperten; er konnte kaum atmen. Sein Körper schien am Boden festgewachsen zu sein.
    »0 mein Gott! Wie furchtbar!« stöhnte er. Er spürte immer noch die unelastische Haut der Frau an seinen Fingerspitzen und rieb sie an der Hose ab, als ob er

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