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Schwestern der Nacht

Schwestern der Nacht

Titel: Schwestern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masako Togawa
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verschwunden.
    Plötzlich hörte er, wie irgendwo im Erdgeschoß eine Tür geöffnet wurde, und machte einen Satz zurück. Er vergaß seine Schuhe und stürzte hinaus in die Gasse, stieß sich beim Rennen den großen Zeh an einem vorspringenden Trittstein. Der Schmerz war fürchterlich, aber er humpelte weiter, erreichte schließlich die Hauptstraße und hielt ein Taxi an. Glücklicherweise schien der Fahrer nicht zu bemerken, daß er keine Schuhe trug.
    Er nannte dem Mann Yotsuya Sanchome als Ziel und sackte auf dem Rücksitz zusammen, preßte die Stirn gegen das kühle Fensterglas. Verzweiflung überkam ihn. Irgendwo im Dunkeln heulte eine Sirene; hatte man die Leiche bereits entdeckt? Hatte jemand die Polizei verständigt?
    Er fühlt sich verfolgt und kauerte sich noch mehr zusammen. Der Fahrer ging mit dem Tempo herunter; die Sirene kam näher und näher, überholte sie schließlich mit einem Schwall von Licht.
    »Irgendwo brennt's«, sagte der Fahrer; Honda blickte hoch und stellte erleichtert fest, daß es sich um einen Feuerwehrwagen und keine Funkstreife handelte.
    Er ließ sich in einiger Entfernung vom Meikei-So absetzen. Es wäre nicht gut, wenn sich der Fahrer an das Fahrziel erinnern würde; er wurde langsam vorsichtig.
    So mußte er die letzten hundert Meter zu seinem Apartment auf Socken zurücklegen, die mittlerweile vor Nässe trieften. Außerdem pochte es in seinem großen Zeh, und der Schmerz machte ihm das Gehen schwer. In seinem Zimmer angekommen, zog er die verdreckten Socken aus — eine war blutverschmiert — und stellte fest, daß der Zehennagel halb abgerissen war. Er wickelte seinen Fuß in ein Taschentuch und massierte seine malträtierten Gliedmaßen.
    Als nächstes mußte er unbedingt die Sache mit der Krawatte überprüfen. Er zog sie aus der Tasche, betrachtete sie und schleuderte sie dann zu Boden, als hätte sie sich in eine giftige Schlange verwandelt. Es waren nämlich Initialen eingestickt, und zwar seine.
    In der Hoffnung auf die eins zu einer Million stehende Chance, daß es sich um einen Zufall handelte, ging er zum Garderobenschrank und öffnete ihn. Vielleicht hing seine Krawatte ja darin, und die hier gehörte irgend jemand mit denselben Initialen ... Da fuhr plötzlich ein bohrender Schmerz durch seine linke Gesichtshälfte, und er zuckte zurück. Es war, als hätte ihn ein glühend heißer Spieß erwischt. Einen Moment lang wurde ihm schwarz vor Augen, dann berührte er seine Wange; sie war blutverschmiert. Er blickte zu Boden; vor seinen Füßen lag eine dünne Klinge, die oben an einer Bambusstange befestigt war. Jemand hatte in seinem Garderobenschrank eine Falle für ihn ausgelegt!
    Ungefähr zehn Krawatten baumelten höhnisch an der Stange in der Tür, doch die kastanienrote war nicht dabei. Seine Augen füllten sich mit Tränen; Schmerz und Anspannung hatten Don Juan überwältigt. Er preßte die Hand gegen die Wange und torkelte zu seinem Schreibtisch. Sein Tagebuch, das immer unter einem Briefbeschwerer lag, war fort!
    Er warf sich bäuchlings aufs Bett. Als er sich nach einigen Minuten auf den Rücken drehte, konnte er eine schreckliche Sekunde lang nichts sehen.

4
    In den frühen Morgenstunden des 25. Januars, zehn Tage nach seiner Flucht aus Mitsuko Kosugis Unterkunft, wurde Ichiro Honda unter Mordverdacht festgenommen. Die Polizei verhaftete ihn in seinem Zimmer 305 des Hotels Toyo.
    Man hatte den Mann, der sich Sobra nannte, anhand der handgemachten italienischen Schuhe aufgespürt, die am Tatort zurückgeblieben waren. Da es sich dabei um eine Spezialanfertigung handelte, war es ein Kinderspiel gewesen, den Namen des Eigentümers herauszubekommen. Damit hatte Ichiro Honda im Traum nicht gerechnet, genausowenig wie er in der Zwischenzeit daran gedacht hatte, zur Polizei zu gehen und eine Aussage zu machen.
    Seit dem Mord hatte er keinerlei Initiative ergriffen, sondern einfach alles auf sich zukommen lassen. Er war wie ein Insekt, dem man die Flügel ausgerissen hatte. So ziemlich das einzige, was er unternahm, war ein Besuch im Meikei-So drei Tage nach dem Mord. Er machte sich Sorgen, daß der Fahrer sich das Gebäude gemerkt haben könnte, was sich allerdings als die geringste aller Befürchtungen erwies. Als er nämlich sein Apartment betrat, fiel ihm auf, daß jemand die Bambusstange mit der Klinge weggeräumt hatte, die er selbst in einer Zimmerecke abgestellt hatte. Natürlich irritierte ihn ihr Verschwinden, dennoch setzte er sein geplantes Vorhaben

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