Schwestern der Nacht
Aikawa und Mitsuko Kosugi, die die Beziehungen des Angeklagten zu den Ermordeten bezeugten.
Und andere Zeugen.
Der gewichtigste Punkt war aber, daß der Angeklagte nicht einen einzigen Zeugen zur Bestätigung seiner Alibis anführen konnte...
ZWEITER TEIL
Die Anwälte
I
Hajime Shinji löste sich hastig von der Matratze und der Bettdecke auf dem Boden, welche ihm als Bett dienten, und streifte ein Hemd mit schmutzigem Kragen über. Ohne groß nachzudenken, schnappte er sich die nächstbeste Krawatte und wickelte sie um seinen Hals. Den Rest seiner Morgentoilette absolvierte er ebenso nachlässig, und nach wenigen Minuten marschierte er aus dem Zimmer; das Bettzeug ließ er, zerwühlt, wie es war, auf dem Boden liegen. In seinem Briefkasten steckte eine Zeitung; er rollte sie zusammen, ohne einen Blick darauf zu werfen, stopfte sie in seine Tasche und eilte auf die Straße.
Seit seiner Graduierung am Ehrwürdigen Institut für Rechtswissenschaften und seinem Eintritt als Rechtsanwalt in die Anwaltskanzlei Hatanaka begann sein Arbeitstag auf diese Weise.
Auf dem Bahnsteig kaufte er zwei Flaschen Milch und stürzte ihren Inhalt hinunter, während er auf den Zug wartete. Der Zug lief ein, er wurde von der Menschenmenge fortgeschwemmt und in das überfüllte Innere gequetscht.
Shinji war nicht groß — einen Meter sechzig bloß —, aber sein dunkelhäutiges Gesicht und muskulöser Körper verliehen ihm ein verwegenes Aussehen. Momentan bereitete es ihm große Probleme, daß er das Interesse an seiner Arbeit zu verlieren begann, die ihn anfangs ungemein fasziniert hatte. Seine Neugier war mittlerweile abgestumpft, und alles erschien ihm wie reine Routine — bedeutungslos. Die Gerichtsbauten, die er früher als Stein gewordene rechtliche Erhabenheit verehrt hatte, waren nichts anderes mehr als graue Gebäude, in denen unentwegt dieselben sinnlosen Streitigkeiten wiederholt wurden. Hajime Shinji langweilte sich.
Boss der Kanzlei, bei der er arbeitete, war Kentaro Hatanaka. Hatanaka war eine hochangesehene Persönlichkeit in diesem Berufszweig, war zweimal zum Präsident des Anwaltsverbandes gewählt worden und für seine Artikel in Fachzeitschriften wohlbekannt. Er hatte vielen Menschen die Todesstrafe erspart und war als Berufungsanwalt hoch gefragt. Aber er hatte auch Feinde. Sie sagten ihm nach, er sei auf Publicity aus oder nehme anderen Anwälten mit seinem Ruf die Arbeit weg. Außerdem äußerten seine Kritiker die Ansicht, er übernehme nur Fälle, bei denen der Erfolg programmiert war. Am meisten aber beschwerten sich seine Gegner darüber, daß er selbst dann einen Fall übernahm, wenn außer Frage stand, daß der Angeklagte ihn nie würde bezahlen können. Dies wurde als ganz besonders heimtückische Form von Selbstpropaganda gewertet.
Shinji hatte für diese Vorwürfe kein Verständnis. Er war Hatanakas Praxis in erster Linie deshalb beigetreten, weil er tiefen Respekt für diesen aufrechten alten Mann empfand, der vollkommen allein, ohne Frau und Kinder im Leben stand. Er war ein Humanist, dessen ganzes Leben sich um Gerichtsverhandlungen drehte und der sich für alles, was er tat, auf eine Art und Weise einsetzte, die ganz deutlich machte, daß er an die Richtigkeit seines Handelns glaubte.
Und doch schien Shinjis Leben, trotz seines Respekts vor Hatanaka, in letzter Zeit recht leer zu sein. Sein Traum war es nämlich stets gewesen, Richter, und nicht Anwalt zu werden. Dieser Traum hatte ihm geholfen, all die Abendkurse am Ehrwürdigen Institut zu durchstehen, nach einem aufreibenden Arbeitstag als Kaufhauslieferant. Als er schließlich die Anwalts statt der Richterlaufbahn eingeschlagen hatte, um das endlos scheinende Studium etwas abzukürzen, fühlte er sich schuldig; er ließ das Volk im Stich, fand er damals, und das aus vollkommen egoistischen Motiven. Dieses Gefühl wurde er nie wieder ganz los.
Ein Anwalt sollte stolz auf seinen Beruf sein, soviel war ihm klar. Aber welchen Sinn hatte es, sein Leben als Volksverteidiger in den immer gleichen trivialen Fällen zu verschwenden? Sein Los war es, bedauernswerte Kleindiebe, Langfinger und arme Irre zu verteidigen, die ihren Müll angezündet hatten und wegen Brandstiftung angeklagt wurden. Einmal war er an einen Fall geraten, in dem ein halbwüchsiger Bursche einen Taxifahrer niedergestochen und sich um die königliche Summe von 2000 Yen bereichert hatte. Er träumte von einem großen und tragischen Fall, in dem Liebe und Haß eine Rolle
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