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Schwestern der Nacht

Schwestern der Nacht

Titel: Schwestern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masako Togawa
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laufenden.«
    Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zu, und Shinji war entlassen.
    Im Verlauf der nächsten Woche widmete er sich in jeder freien Minute der ihm übertragenen Aufgabe. Nicht nur, weil es sich um einen großen Fall für seine Begriffe handelte, es gab noch einen anderen Grund. Unter den fünf Namen von Hondas Eroberungen war einer, den er kannte. Der Lebenslauf der Frau paßte ebenfalls; es handelte sich um die Angestellte einer Leihbücherei, mit der er sich auf dem College angefreundet hatte.
    Dieser Zufall erschien ihm wie eine Ironie und irgendwie amüsant. Aber lag nicht auch etwas Schicksalhaftes darin?

2
    Shinji beschloß, die beiden schwierigsten Damen zuerst in Angriff zu nehmen, diejenigen nämlich, aus denen die Polizei nicht ein einziges Wort herausbekommen hatte. Er kam sich vor wie ein Kind, das sich das Beste auf seinem Teller bis zum Schluß aufspart. Doch leider — wie das Leben nun mal spielt — verrieten sie auch ihm kein Sterbenswörtchen. Bei einer von beiden führte sein Weg zu einem modernen Wohnblock in Meguro. Die Tür ging auf, eine Frau mit Baby auf dem Arm stand vor ihm. Sie schickte ihn erbittert weg und behandelte ihn, als hätte sie einen Klinkenputzer vor sich. Er fand das nicht weiter erstaunlich; welche verheiratete Frau war schon bereit, ihre Position zu gefährden, indem sie über eine alte Romanze mit einem überführten Mörder sprach?
    Die dritte auf seiner Liste war eine Miss Kyoko Matsuda, 19 Jahre alt, Bedienung in einem Café in Shinjuku. Er beschloß, auf dem Weg zum Büro in Hibiya einen Abstecher dorthin zu machen.
    Als er sein Ziel erreichte, stellte er fest, daß der Laden unter einer Brücke versteckt war, die den Koshu Kaido Highway über eine kleinere Straße leitete. In diesem Viertel konnte man sich billig die Nacht um die Ohren schlagen, und bei Tageslicht sahen die Neonreklamen und Leuchtschilder staubig aus. Vor dem Laden verkündete ein solches Schild: »Frühstück. Kaffee und Toast«. Er ging hinein. Wie erwartet, war es zu dieser Stunde nicht voll; der einzige Gast war ein Mann, der den Kopf tief in eine Rennzeitung steckte.
    »Ist Fräulein Kyoko Matsuda da?«
    Die von ihm angesprochene Kassiererin machte eine Kopfbewegung in Richtung eines billigen Restaurants auf der gegenüberliegenden Straßenseite. »Sie ist heute schon früh zum Mittagessen rübergegangen.«
    »Können Sie mir sagen, was Sie anhat?«
    Die Frau musterte ihn einen Moment lang überrascht und mißtrauisch, so daß sich ihr starkes Make-up in Falten legte. Schließlich sagte sie mit einem Achselzucken: »Sie trägt 'ne gelbe Strickjacke.« Shinji dankte ihr und verschwand.
    Das Restaurant, in das sie ihn geschickt hatte, war langgestreckt und niedrig; es erinnerte ihn an einen gestrandeten Aal. In den Fenstern längs der schmalen Vorderfront standen Wachsmodelle der erhältlichen Speisen; gekochte Erbsen in Honig und süße Bohnenmarmelade, Adzukibohnensuppe mit Reiskuchen, Reisbällchen, ein paar chinesische Gerichte, Schweinekoteletts ... Er schob sich durch die niedrige Tür ins Innere.
    Die gesamte Kundschaft bestand aus Frauen. Er hatte Kyoko Matsuda sofort entdeckt; sie saß mit dem Rücken zu ihm an einem Tisch neben der Tür. Er besetzte den Stuhl ihr gegenüber.
    »Entschuldigen Sie die Störung«, sagte er und zeigte ihr seine Karte.
    »Ist schon in Ordnung«, erwiderte sie aufgeräumt, ohne sich beim Herumhantieren mit ihren Essstäbchen stören zu lassen. In Shinji regte sich ein Hoffnungsschimmer.
    Im gleichen Moment kam eine Kellnerin an den Tisch und reichte ihm die Speisekarte. Er würde nicht drum herumkommen, etwas zu bestellen; spontan deutete er auf ein Gericht namens Tokoroten, ein essigsaures Meeresalgen-Gelee mit Meerrettich als Geschmacksverstärker. Er bedauerte zu spät, etwas derart Exzentrisches bestellt zu haben; darüber hinaus war es eher ein Gericht für Frauen. Kyoko jedoch hob lächelnd den Kopf.
    »Klingt lecker! Das muß ich mir auch bestellen.« Mit diesen Worten schob sie der Kellnerin ihren leeren Teller hin.
    Wieder allein, lächelte Shinji sie trocken an.
    »Soviel ich weiß, waren Sie mit Ichiro Honda befreundet.« »Stimmt. Vor etwa einem Jahr.«
    »Haben Sie ihn im Café kennengelernt?«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Er hat im Kino neben mir gesessen. Er erzählte mir, er sei Japaner mit amerikanischen Vorfahren in zweiter Generation, und weil ich eine Tante in San Francisco habe,

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