Schwestern der Nacht
nachgelassen; am entfernten Ende der Gasse torkelte ein Betrunkener am Arm einer Hure übers Pflaster. »Danke«, sagte Shinji matt.
»Sonst wollen Sie nichts von mir?« fragte Nobu Mikami mit lüsternem Augenzwinkern und tippte gegen seine Brusttasche, die Shinji mit tausend Yen gefüllt hatte. »Aber mal ganz unter uns, Männer mit Muttermalen sind wahrscheinlich alle ein bißchen komisch, meinen Sie nicht? Mein Kunde von vorhin hatte einen riesigen Leberfleck direkt über dem Bauchnabel, kurz unter seinen Schwimmreifen. Ekelhaft nenn' ich so was!«
Es hatte inzwischen ganz aufgehört zu regnen, und Shinji machte sich ohne ein weiteres Wort auf den Weg. Er hatte zum Glück erst wenige Schritte zurückgelegt, als ihn die volle Bedeutung der Worte des Jungen wie ein Keulenschlag traf. Er rannte zurück und erwischte Nobu gerade noch auf halber Höhe der Treppe.
»Sie sagten eben >Leberfleck<, schnaufte er. »Soll das heißen, der Kunde an Ihrem Geburtstag hatte auch einen?«
»Und was für einen — einen richtig überdimensionalen direkt hier.« Nobu blickte von der Treppe auf Shinji herab und legte einen Finger vielsagend an seine Nase.
»Sind Sie sicher, daß es sich um einen Mann gehandelt hat? Könnte es nicht vielleicht auch eine verkleidete Frau gewesen sein?«
Der Junge blinzelte überrascht ob dieser eigenartigen Frage, bequemte sich jedoch schließlich zu einer Antwort. »Keine Ahnung — schon möglich. Ich hab' jede Menge komischer Kunden, aber solange sie bezahlen, ist mir das egal. Aber wenn es tatsächlich eine Frau war, weiß ich wirklich nicht, was sie von mir gewollt hat!« Damit kehrte er ihm den Rücken zu und verschwand die Treppe hinauf; sein voller Hintern tanzte unter der engen Jeans. Shinji stand wie angewurzelt da. Plötzlich machte das Ganze doch noch einen Sinn.
Drei der fünf Personen mit dieser seltenen Blutgruppe waren jemandem mit einem auffälligen Muttermal an der Nase begegnet. Und, was noch wichtiger war, diese drei Begegnungen hatten jeweils am gleichen Tag wie die Morde stattgefunden — oder einen Tag vorher ... Aber wer war sie, diese Frau mit dem Muttermal an der Nase? Was hatte sie vor?
Er machte sich eilig auf den Weg. Auf der Hauptstraße hielt er nach einem öffentlichen Fernsprecher Ausschau.
7
Von einem Café aus wählte er Hatanakas Privatnummer, doch die Haushälterin teilte ihm ärgerlich mit, daß der Anwalt bis jetzt noch nicht zurück war. »Und er hat nicht mal gesagt, wo er hingeht«, beschwerte sie sich.
Ja, wo war er nur zu dieser nächtlichen Stunde? Shinji beschloß, auf seine Heimkehr zu warten, ließ sich auf einem Eckplatz nieder und bestellte eine Tasse Kaffee. Ein paar Stühle weiter zog eine avantgardistisch anmutende Gruppe junger Leute, deren Anführerin eine junge Frau mit weißem Lippenstift zu sein schien, eine extravagante Schau ab und versenkte weiße Tabletten in ihrem Bier. Shinji ignorierte sie; statt dessen zog er sein Notizbuch aus der Tasche und begann die Schlußfolgerungen seiner bisherigen Nachforschungen zu Papier zu bringen.
1. Erster Mord. (5. November)
Kimiko Tsuda
Nichts Auffälliges diesen Tag betreffend entdeckt.
2. Zweiter Mord. (19. Dezember)
Fusako Aikawa
An diesem Tag besucht Seiji Tanikawa von der Filmentwicklungsfirma auf Drängen einer Frau mit einem Leberfleck an der Nase zum erstenmal das Türkische Bad.
3. Dritter Mord. (15. Januar)
Mitsuko Kosugi
Nobuya Mikami (aus der Schwulenbar) wird telefonisch zu einem Kunden bestellt, den er noch nie gesehen hat. Auch dieser Kunde, beschrieben als Mann von kleiner Statur mit gepreßter Stimme, hat einen Leberfleck an der Nase.
4. Fall unbekannt. (14. Januar)
Opfer?
An diesem Tag wurde kein Mord gemeldet.
Der Kosmetikvertreter verkauft einer Frau Edelsteine in einem Gasthaus in Sendagaya. Diese Dame, die sich wie eine verheiratete Frau gab, trug einen eleganten Kimono und hatte ebenfalls ein Muttermal an der Nase.
Übereinstimmungen in der Beschreibung der Person, die sich den drei Zeugen genähert hat:
Ein ziemlich auffälliges Muttermal am rechten Nasenflügel.
Tritt in jedem Fall nur einmal in Erscheinung und verschwindet hinterher spurlos.
Nähert sich vorzugsweise Männern mit der Blutgruppe AB rh-negativ.
Shinji las seine Aufzeichnungen noch einmal durch und dachte darüber nach. Obwohl sich der schwule Knabe angeblich mit einem Mann getroffen hatte, ließ seine Beschreibung die Möglichkeit zu, daß es sich um eine verkleidete Frau gehandelt haben
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