Schwestern der Nacht
Rubrik >Vermisstenanzeigen< in die Zeitung zu setzen — glauben Sie, es geht so?« Sie hielt ihm ihren Entwurf hin.
Vermisst
Tsuneko Obana . 31 Jahre. Geboren in Hiroshima-Innenstadt. Bis vergangenen September wohnhaft im Fujii-Apartmenthaus, Sansei-Cho, Omori Kaigan, Shinagawa-ku, Tokio. Besondere Kennzeichen: auffälliger Leberfleck, etwa von der Größe einer Adzukibohne, neben dem rechten Nasenloch.
Wir müssen dringend Kontakt zu ihr aufnehmen. Für Hinweise, die zu ihrem Aufenthaltsort führen, ist eine Belohnung ausgesetzt.
Anwaltskanzlei Hatanaka
»Soll das täglich erscheinen?«
»Ja, mindestens einen Monat lang.«
»Jammerschade, daß wir kein Bild von ihr haben.«
»Das findet Herr Hatanaka auch. Er befürchtet, daß wir mit einem Haufen falscher Hinweise werden kämpfen müssen.«
Shinji trat ans Fenster und blickte auf den Park hinab. Die Tauben, die sich jeden Morgen auf dem Fensterbrett versammelten, waren fort, um ihren Mittagsgeschäften nachzugehen. Zarter Dunst umgab die Baumwipfel im Park; im Himmel darüber türmten sich Kumuluswolken auf. So oder so, dachte er, sie würden Keiko Obanas Schwester nicht finden. Sie hatte ihre Rache genommen und war spurlos verschwunden.
Seine Vorahnungen — dunkel wie der Winter — standen in krassem Gegensatz zu dem hellen Sommerhimmel.
Ein Monolog
Die Frau streckte langsam eine Hand nach dem Kissen auf dem Bett aus. Dieser Lärm in ihrem Kopf — sie mußte ihn zum Schweigen bringen!
Ihre abgemagerte Hand sah wie eine ausgetrocknete Hühnerklaue aus; kein Fleisch, nur Haut und Knochen.
Die vertrocknete Hand wühlte sich unter das Kissen und zerrte ein großes Notizbuch hervor. Der Einband war schmutzig und wies an einigen Stellen Tintenfingerabdrücke auf.
Auf dem Deckel stand »Jäger-Logbuch«, aber das Wort »Jäger« war derart mit Flecken übersät, daß es kaum noch zu entziffern war. Sie hatte es oft gelesen ... es ließ den Lärm in ihrem Kopf verstummen, wenigstens vorübergehend.
Sie preßte das Buch gegen ihre Brust. Nach einer Weile schlug sie es auf und blätterte die Seiten durch. Ihre Augen waren eingefallen — schwarze Bohrlöcher in ihrem Kopf, wie die Augen einer verwesenden Leiche. In den finsteren Höhlen waren gerade noch schmutzige Pupillen zu erkennen, die sich scheinbar auf nichts mehr konzentrieren konnten.
Die abgemagerte Hand wendete sorgfältig Seite für Seite um, doch die Augen schienen nichts davon wahrzunehmen. Diese Prozedur war fester Bestandteil ihres Tagesablaufs, obwohl die meisten Wörter bereits in ihr Herz eingebrannt waren. Bei einer bestimmten Seite kam ihre Hand zur Ruhe.
Ob Beute wohl viel verträgt? Wie auch immer, kein Widerstand, keine hysterischen Ausbrüche, keine Überreaktionen. Lieferte sich mir einfach aus. Kam mir vor wie ein Gott, der ein Menschenopfer entgegennimmt.
Tat ihr Bestes, meine Bedürfnisse zu befriedigen, war aber zu nervös und hörte nicht auf zu zittern. Brauchte zwei Stunden, um sie zu erlegen. War noch Jungfrau; Blut floß.
Dummes, dummes, kleines Ding. Erzähl mir nicht, du hättest in seinen Armen aufgeschrien, du wärst unter seinem Körper zermalmt worden. Versuch bloß nicht, mir irgendwas von all dem weiszumachen. Ich wette, du hast dir mit deinen spitzen kleinen Zähnen, die du immer so sauber gehalten hast, auf die Lippe gebissen; ich wette, du hast so heftig zugebissen, daß sie zu bluten begann. Dummes kleines Ding!
Ja, dumm bist du gewesen, für dieses Vergnügen Blut zu vergießen! Mit diesem Kerl, der seine dreckigen Lippen auf deine mädchenhafte Haut gepreßt hat. Er hat seinen stinkenden, sündigen Samen in deinem kindlichen Körper verspritzt — nur zu seinem Vergnügen! War es trotz oder wegen dieses Samens, der in deinem Körper keimte, daß du sterben mußtest? Und während du deinen eigenen Tod geplant hast, hatte dieser Kerl dich längst vergessen und ergötzte sich an einer anderen Frau ... Doch jetzt ist alles wieder gut, mein Liebling; weine nicht mehr, verfluche ihn nicht länger, auch wenn du unter der Erde liegst und Würmer an dir fressen!
Denn ich habe dich gerächt, trotz des Lärms in meinem Kopf. Ich hab' ihn ins Gefängnis gebracht, wo er nie wieder den Körper einer Frau berühren kann. Er starrt jetzt auf die Mauern einer kalten Zelle, auf die er zweifellos deinen Namen und die vieler anderer Frauen geschmiert hat, eingerahmt von den schmutzigen Anekdoten seiner nächtlichen Abenteuer. Bald schon werden sie ihn holen und aufhängen
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