Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
begaffte mich unverhohlen. Ich streckte ihm die Zunge heraus, während Delilah meinen Rücken untersuchte.
»Ja, du hast es geschafft, dir eine Brombeerranke einzufangen.« Mit einer plötzlichen Bewegung riss sie sie heraus, und ich jaulte auf, als sich der Dorn aus meiner Haut löste. »So viel zu Sex im Wald«, brummte ich. Bis auf die ganz wilden Gegenden blieben Dornenranken in der Anderwelt hübsch ordentlich da, wo sie hingehörten.
»Also, packen wir’s an. Chase wird sich fragen, was zum Teufel aus uns geworden ist, wenn wir uns nicht beeilen.« Ich musterte den Grabhügel. »Ich konzentriere mich darauf, die Barriere einzureißen, und du schaffst uns sämtliche Illusionen aus dem Weg, die vielleicht damit verbunden sind. Stell dich da drüben hin und halte eine gute Armeslänge Abstand.«
Wir brachten uns in Position, und Delilah gab uns Rückendeckung. Als ich die Arme hob und die Macht der Mondmutter herabrief, schimmerte die Energie auf der Lichtung. Der Regen ließ plötzlich nach, und ein kalter Wind kam auf, der die Bäume schüttelte. Ich konzentrierte mich darauf, ein Loch in dem Kraftfeld zu schaffen, und verwandelte mich in eine Art magischen Schlagbohrer. Morio arbeitete an meiner Seite, zerstreute die Illusionen, die den Hügel umgaben, und brach ihre Macht über das Land.
Als die Barriere schwächer wurde und es uns gelang, einen Keil in die Mauer zu treiben, begann ein dumpfes Grollen in der Luft zu vibrieren; die Erde bebte und schlug Wellen unter unseren Füßen. Ich schwankte und versuchte, mich auf den Beinen zu halten, doch das Beben wurde stärker und schleuderte Morio und mich zu Boden. Das Kraftfeld zersprang in tausend unsichtbare Scherben, und dann war die Lichtung wieder still.
» Shake, rattle and roll «, sagte ich und kam schwankend auf die Beine.
»Was zum Teufel war denn das? Sind wir hier vielleicht in einem Kriegsgebiet?«, fragte Delilah.
Die bezaubernde Lichtung mit dem grünen Hügel war nun ein schwarzer Buckel, umgeben von einem Ring kränklicher Bäume, die von finsteren Gedanken und Begierden murmelten. Der Boden war versengt, und zu Kohle verbrannte Baumstämme lagen überall verstreut.
»Heilige Scheiße. Seht euch das an.« Delilah sog scharf den Atem ein und blickte sich mit großen Augen um.
»Das sagt ja wohl alles.« Ich blickte mich nach Morio um, der sich die Schulter rieb – offenbar war er bei dem Erdbeben schmerzhaft gestürzt. »Was ist hier passiert?«
»Schau«, sagte er und deutete auf ein schwarzes Loch in dem dunklen Hügel. Es führte tief in die Erde hinein. »Ist das eine Höhle?«
Ich kniff gegen den Regen – der nun wieder auf uns herabprasselte – die Augen zusammen und sah, dass er recht hatte. Es war eine Höhle. Die Höhle . Und ich wusste, dass sich irgendwo da drin Tom Lane versteckte.
»Da müssen wir rein. Das ist sie, Leute. Gehen wir.« Doch als ich vortrat, erregte das leise Rauschen von Schwingen meine Aufmerksamkeit. Ehe wir einen Schritt weitergekommen waren, erhob sich ein Schatten hinter dem Hügel. Schlangengleich, riesig und milchweiß ragte ein Drache vor uns auf. Und er sah hungrig aus.
Kapitel 14
Dracheee!« Delilah wich mit entsetzter Miene zurück.
»Hör auf zu schreien. Ich sehe ihn ja.« Was zum Teufel sollten wir jetzt tun? Die Waldesruhe-Szenerie war plötzlich zu einem Minenfeld geworden, und der letzte Rest des Drangs herumzutanzen wich dem wesentlich stärkeren Drang, die Beine in die Hand zu nehmen. Aber das würde nichts nützen. Drachen waren groß. Drachen waren stark. Drachen waren schnell. Und vor allem – Drachen verspeisten Hexen wie mich zum Frühstück.
Der Wyrm war eine Mischung aus asiatischer und westlicher Abstammung. Sein Körper war lang und schlangenartig, die Flügel groß, aber nur Zierde; er brauchte sie nicht zum Fliegen. Was wie Hörner aussah, waren in Wirklichkeit Fühler auf der Stirn der Bestie. In seiner ganzen reptilienhaften Anmut ragte er nun vor uns auf, milchweiß und schimmernd wie Perlmutt in allen Schattierungen von Hellrosa bis Elfenbein.
Ich starrte in seine eisig grauen Augen, schwarz umrandet und mit Pupillen, in denen zwei diamantene Lichtpunkte glitzerten, und konnte nicht anders, als staunend festzustellen, wie wunderschön er war. Es war viele Jahre her, dass ich zuletzt einen Drachen gesehen hatte, und ich war noch nie einem so nahe gewesen. Ein Teil von mir wollte nur ehrfürchtig vor ihm stehenbleiben, doch ich rüttelte mich aus meiner
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