Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
warum seid ihr in mein Territorium eingedrungen?«
Morio warf mir mit fragender Miene einen Blick zu. Uns blieben noch etwa drei Minuten, bis der gute Smoky den ersten Feuerstoß losließ. Falls der Drache mit den Dämonen im Bunde stand, waren wir tot. Falls der Drache aus eigenem Antrieb handelte – was sehr gut möglich war –, was dann? Ich wusste nur, dass Drachen furchtbar geschickt darin waren, Lügen aufzuspüren.
Schließlich zuckte ich mit den Schultern und erklärte: »Wir suchen einen Mann namens Tom Lane. Wir müssen mit ihm sprechen.«
Smokys Augen leuchteten auf. »Ihr wollt mit diesem lästigen Idioten sprechen?«
Oh-oh. Seinem Tonfall war eindeutig zu entnehmen, dass er kein Freund von Tom war, doch ich nahm an dem Drachen auch keine dämonische Aura wahr. Vielleicht hatten er und Tom irgendein Problem miteinander. Aber warum hatte Smoky das Problem dann nicht längst mit einem Feuerstoß gelöst? Ich hatte keine Ahnung und hielt es nicht für sonderlich diplomatisch, danach zu fragen.
»Wir müssen ihn finden«, sagte ich. Dann kam mir ein Geistesblitz. »Wenn du uns sagst, wo er ist, nehmen wir ihn mit uns fort, und er wird dich nie wieder belästigen.«
Der Drache machte es sich auf dem Hügel bequem. Sein Hals wippte auf und ab wie eine Kobra im Korb des Schlangenbeschwörers, dann schoss der Kopf plötzlich auf mein Gesicht zu. Diese glitzernden, eisigen Augen waren keine drei Meter von mir entfernt, und vor diesem Drachenkopf kam ich mir auf einmal sehr klein vor. Er musterte mich forschend. Ich gab mir Mühe, möglichst unschuldig dreinzuschauen.
»Hexling, wie lautet dein Name?«
Das wäre ein schwerer Fehler gewesen. Nenne einem Drachen niemals deinen richtigen Namen – keine gute Idee. Ich schüttelte den Kopf. »So dumm bin ich nicht. Du weißt, dass ich dir meinen Namen nicht nennen werde, also versuche es gar nicht erst.«
Ein tiefes Donnergrollen ließ die Luft erzittern, als er prustend lachte. »Ich mag dich. Du bist lustig und mutig, eine seltene Kombination. Deine Beute ist heute früh in die Höhle gerannt. Ich habe ihn gejagt, so weit ich konnte, aber er ist mir entkommen. Wenn du ihn mitnimmst, lasse ich dich leben, und du darfst in meinem Wald spazieren gehen. Wenn du versagst, esse ich dich zum Frühstück.«
Ich seufzte. Allmählich kam ich mir vor wie der Unglücksrabe am Ende einer Kette miserabler Deals. Bring mir einen Dämonenfinger, sonst nehme ich mir einen von deinen. Schalte die Dämonen aus, sonst werden sie die Welt zerstören. Schaff mir Tom Lane aus den Augen, oder ich fresse dich zum Frühstück.
»Uns bleibt wohl keine andere Wahl. Abgemacht.« Was hätte ich sonst sagen sollen? »Aber du musst uns Zugang zur Höhle gewähren, damit wir ihn finden können. Und du darfst nichts tun, was ihn verscheuchen könnte, solange wir versuchen, ihn zu fangen. Und keine faulen Tricks.«
Morio unterdrückte ein Schnauben, und ich wusste, was er dachte. Diesmal hatten wir uns wirklich was eingebrockt. Ich konnte immer noch nicht spüren, wo Delilah steckte.
Der Drache machte eine Geste, die an ein Schulterzucken erinnerte. »Ich gebe dir mein Ehrenwort, auf meine Rauchkanäle und Barthaare, kleine Hexe.«
Ehrenwort, von wegen. Drachen waren sehr geschickt darin, Worte zu verdrehen, und ich traute Smokys jovialem Auftreten keineswegs. Aber dieser Handel war das Beste, was wir würden herausschlagen können, jedenfalls ohne den Schutz eines Magiers oder einer Hexe mit wesentlich größeren Kräften als den meinen.
Er nickte und deutete auf die Höhle in dem Hügelgrab. »Ich habe ihn dort hineingejagt. Nun macht euch an die Arbeit und sucht ihn. Ich fühle mich heute ein wenig reizbar.«
Während Morio und ich vorsichtig auf die Höhle zugingen, zwang ich mich, stur geradeaus zu starren. Ich wollte mich nach Delilah umsehen, aber dann hätte der Drache Verdacht geschöpft. Wir hatten den Eingang zu dem dunklen Tunnel fast erreicht, als ich zurückblickte.
»Verrat mir eines. Warum hast du Tom nicht selbst gefangen? Warum hast du ihn noch nicht gefressen?«
Smokys Augen sprühten glitzernde Funken. »Ich wollte mir keine Verdauungsstörung einhandeln«, lautete seine rätselhafte Antwort.
Als wir an ihm vorbeigingen, spürte ich seinen heißen Atem, der die Luft erwärmte. Eigentlich war das nach dem Regen sehr angenehm, und eigentlich wäre ich gern einen Moment lang stehengeblieben, um mich ein wenig trocknen zu lassen, aber ich besann mich rasch eines
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