Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
Besseren. Immerhin bedeutete ein Drache, der einem Spitznamen wie Hexling gab, im Zweifel nur Ärger. Der Geruch nach Kohle und Fleisch, der ihn umgab, war so durchdringend, dass ich schauderte und weitereilte.
Morio folgte dicht hinter mir, eine Hand auf meiner Schulter. Als wir den Eingang erreichten, zwang ich mich, ruhig weiterzugehen. Wir wollten den Drachen schließlich nicht zu einem Fehler verleiten, den wir selbst bereuen würden. Doch sobald wir drinnen waren, sank ich zitternd an die Höhlenwand.
»Das war mal eine Begegnung, die ich so nie erwartet hätte. Oder gern wiederholen würde. Also gut, wo zum Teufel steckt Tom? Suchen wir ihn, und dann machen wir, dass wir hier wegkommen.« Ich schüttelte den Kopf und sah mich um.
Die Wände der Höhle schillerten. Phosphoreszenz vielleicht? Oder Feenfeuer? Ich schloss die Augen und forschte mit meinen magischen Sinnen nach einem Anzeichen von Leben. Da – ein kurzes Aufblitzen, nur eine schwache geistige Berührung, den Tunnel entlang und dann links.
»Hier drin ist jemand, so viel ist sicher«, sagte ich; ich war nicht gerade begeistert von der Vorstellung, im Dunkeln herumzutappen. Höhlen mochte ich nicht besonders. Der offene Himmel war mir lieber, oder zumindest ein Haus, in dem ich sicher sein konnte, nicht in Minenschächte zu fallen, über Felsbrocken zu stolpern oder von herabstürzendem Geröll erschlagen zu werden.
Morio warf mir einen Blick zu. »Du leidest unter Klaustrophobie, nicht wahr?«
Ich zuckte mit den Schultern und starrte zu Boden. »Ein bisschen. Außerdem habe ich Höhenangst und stelle mich ziemlich an, wenn es um Babywindeln geht. Ich bin eine Katastrophe, was?« Ich seufzte tief und lehnte mich widerstrebend an die schimmernde Wand. »Genaugenommen leide ich nicht unter Klaustrophobie im engeren Sinne, aber meine Magie kommt vom Mond und von den Sternen. Ich bin nicht gern unter der Erde gefangen. Zu Hause in der Anderwelt habe ich auch nie die Zwergenstadt besucht, weil der Großteil davon unter dem Berg liegt. Mein Vater hat sie Delilah und Menolly gezeigt, aber ich konnte da einfach nicht reingehen.«
»Ist deine Mutter mitgegangen?«, fragte Morio.
»Nein, sie wollte auch nicht dorthin, also bin ich bei ihr geblieben, und wir sind eine Woche lang Shoppen gegangen, in Aladril, der Stadt der Seher am Meer.« Wir hatten sogar ein paar tolle Schnäppchen gemacht, obwohl Vater fast erstickt war, als die Rechnungen ins Haus geflattert kamen. Aber er hatte sie bezahlt, ohne ein Wort zu sagen. Er verweigerte Mutter nie etwas, das sie sich wünschte.
»Ich würde die Anderwelt gern eines Tages besuchen«, sagte Morio und blickte sich in der Höhle um. »Wenn du mir hilfst, einen Zweig oder Stock zu finden, kann ich uns Licht machen.«
»Mit Fuchsfeuer?« Ich blickte mich mit zusammengekniffenen Augen um. Da lag ein Ast, etwa dreißig Zentimeter lang. Ich reichte ihn Morio, und binnen Sekunden hatte er ihn so verzaubert, dass wir fast die gesamte Höhle sehen konnten. Die glitzernde Lichtkugel am Ende des Stocks war heller als Kerzenschein, spendete aber nicht so viel Licht wie eine Öllampe.
»Fuchsfeuer ist ein gebräuchlicher Ausdruck dafür, allerdings nicht ganz zutreffend«, erklärte Morio. »In Japan nennen wir es Kitsune-bi . Komm, ich gehe voran.«
Er schob sich an mir vorbei, und der Geruch seines Schweißes löste erneut Erregung in mir aus. Ich kämpfte gegen den Drang, die Hand auszustrecken und ihn zu berühren. Na toll – was würde ich tun, wenn Trillian zurückkam? Falls Trillian zurückkam , dachte ich ernst. Falls er es überlebte. Dieser Gedanke riss mich schneller aus meinen heißen Phantasien als ein Eimer Eiswasser.
»Ich glaube, die Anderwelt würde dir gefallen.« Ich trat hinter ihn, und wir gingen vorsichtig den Tunnel entlang. Die Höhle war feucht und kühl. Die Nässe kondensierte an den Wänden, und hier und da sah ich Schleimpilz in Flecken wuchern, aufgedunsene weiße Pilze und eine Menge eklige Krabbeltiere.
Die Viecher machten mir nichts aus – die war ich seit meiner Kindheit gewöhnt –, aber der Schleimpilz machte mich nervös. Zu Hause in der Anderwelt entwickelte er gern ein Eigenleben und sogar ein rudimentäres Bewusstsein, und er konnte ahnungslosen Reisenden gefährlich werden. Obwohl das hier sicher andere Schimmelsorten waren, konnte ich mich nicht beherrschen und wich vor den Stellen zurück, wenn wir daran vorbeimussten.
»Wie ist sie so?«, fragte Morio.
»Die
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