Schwestern des Mondes 02 - Die Katze-09.06.13
mir, den warmen Laden zu verlassen. »Da oben ist es verdammt kalt. Die Wärme kommt irgendwie nie bis zu mir.« Inzwischen war ich gezwungen, Heizlüfter aufzustellen, damit ich es in meinem Büro aushalten konnte. Zum Glück bezahlte der AND alle Rechnungen. Und da wir gerade stinksauer auf unseren Arbeitgeber waren, bereitete es mir ein perverses Vergnügen, diese Rechnungen hübsch in die Höhe zu treiben.
»Du kannst gern hierbleiben und mir helfen, Bücher einzusortieren.« Camille schob mir gleich einen Stapel zu, aber ich schüttelte den Kopf.
»Ich mache mich lieber an die Arbeit. In zehn Minuten habe ich einen Termin mit einem neuen Klienten. Wenn er durch den Laden reinkommt, schick ihn zu mir hoch.«
»Bis später, Süße.« Camille winkte mir nach, als ich, immer zwei Stufen auf einmal, die Treppe hinaufsprang.
Am Kopf der Treppe führte ein kurzer Flur zu drei Türen: eine Toilette, ein Besenschrank, in dem wir unseren Putzkram aufbewahrten, und mein Büro. Der AND sah natürlich keinen Anlass, uns einen Hausmeister zu bezahlen, und wir konnten es nicht riskieren, jemand Fremdes zum Putzen einzustellen; deshalb hatten wir wirklich Glück, dass Iris sich freiwillig dafür gemeldet hatte. Für ihre Arbeit im Laden bezahlten wir sie pro Stunde, und sie kam einmal die Woche, um die Böden zu wischen, abzustauben und den Müll rauszubringen. Mir graute jetzt schon vor dem Tag, da sie jemanden kennenlernte; dann könnte sie ihn heiraten und ein eigenes Haus voll kleiner Hausgeister großziehen.
Ich öffnete die Tür zu meinem Büro und sah mich um, bevor ich eintrat. Vorsicht war kein Charakterzug meiner Familie, aber ich hatte Glück gehabt und sie mir irgendwann angewöhnt. Eines Tages könnte dieser Bruchteil einer Sekunde recht praktisch sein und mir beispielsweise das Leben retten.
Mein Wartezimmer war spärlich eingerichtet, mit einem alten Sofa, zwei Sesseln und einem Tisch, auf dem neben einer Lampe und einer Glocke nur ein paar Zeitschriften lagen. Ich drehte das Schild an der Eingangstür von »Geschlossen« auf »Offen – Bitte klingeln«. Während ich mich in dem schäbigen Zimmer umblickte, musste ich wieder einmal daran denken, wie einsam ich mich erdseits manchmal fühlte. Ja, ab und zu löste ich einen Fall und zerrte für am Boden zerstörte Ehefrauen oder betrogene Ehemänner schmutzige Einzelheiten ans Licht – aber half ich damit überhaupt jemandem?
Wenn wir zu Hause in der Anderwelt wären... Verflucht, wenn ich so darüber nachdachte, hatte ich keine Ahnung, was wir in der Anderwelt jetzt täten. Da ein Bürgerkrieg bevorstand, würde man uns vermutlich zum Militärdienst zwangsverpflichten. Vor allem, wenn man unsere Erfolgsquote bedachte. Zumindest verstanden wir etwas vom Kämpfen – und vom Überleben.
Ich öffnete die Tür zum eigentlichen Büro, schlüpfte aus der Jacke und drehte den Heizlüfter auf. Ein großer Eichenholzschreibtisch, den ich gebraucht ergattert hatte, füllte den Raum fast aus, zusammen mit einem Ledersessel, der mit Klebeband geflickt war, und zwei gepolsterten Klappstühlen für Klienten.
Das Einzige, was es in meinem Büro in Hülle und Fülle gab, waren Pflanzen – Pflanzen, die kaltes Wetter und Schatten vertrugen. Sie gaben mir das Gefühl, hier drin atmen zu können. Ein riesiges Poster von einer Waldlichtung erinnerte mich an zu Hause, und Iris hatte es geschafft, genug Kinkerlitzchen aufzutreiben, um dem Raum hier und da ein wenig Glanz zu verleihen. Außerdem hatte sie das einzige Fenster auf Hochglanz poliert. Zumindest konnte ich in diesem Dschungel aus Backstein und Mörtel den Himmel sehen.
Ich blieb vor einem Konsolentischchen stehen, auf dem eine Statue der ägyptischen Göttin Bast auf einem golden und grün gemusterten Tuch stand. Um die Statue herum hatte ich eine Halskette aus Türkisperlen, eine Vase mit frischen Blumen, ein Sistrum – eine ägyptische Handklapper – und eine kobaltblaue Glaspyramide arrangiert. In einem bronzenen Halter stand eine hohe, grüne Kerze, und ich atmete tief aus, als ich sie entzündete.
»Herrin Bast, leite meine Schritte. Wache über meinen Weg. Wisse, dass mein Herz zu deinen Füßen ruht.« Dieses schlichte Gebet sprach ich jeden Morgen und jeden Abend. Bast wachte über alle Katzen und war für mich das, was die Mondmutter für Camille war.
Ein wenig getröstet, ließ ich mich in meinem Ledersessel nieder und sah die Post durch. Ein paar Rechnungen, eine Einladung zu einem Seminar über
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