Schwestern des Mondes 02 - Die Katze-09.06.13
darüber zu reden. Ich entdeckte selbst gerade erst das leise Flüstern neuer Fähigkeiten – so neu, dass nicht einmal ich sie ganz verstand. Sie hatten sich bemerkbar gemacht, nachdem ich mit Chase geschlafen und gegen die Dämonen gekämpft hatte.
»Was meinst du also, was wir tun sollten?«, fragte Camille leise. Sie beugte sich über die Sofalehne und legte die milchweißen Hände auf meine Schultern. Ich konnte die Macht der Mondmutter spüren, die sie durchströmte. Wir alle veränderten uns, dachte ich. Veränderten und entwickelten uns. Camilles Kraft fühlte sich anders an. Nicht sehr, aber doch so, dass es mir auffiel.
Ich holte tief Luft und ließ sie langsam wieder ausströmen. »Wir sollten in die Nordlande reisen und dem Herbstkönig einen Besuch abstatten. Er herrscht über alles, was im Herbst herumkriecht, auch über die Spinnen. Wenn irgendjemand etwas über den Jägermond-Clan weiß, dann er. Siobhan hat mir ein Gerücht erzählt, ein böser Schamane hätte den Clan vor tausend Jahren geschaffen. Wenn das stimmt, hatten sie tausend Jahre Zeit, ihre Nester zu bauen, sich zu vermehren und stark zu werden. Ich will wissen, warum sie nicht schon früher angegriffen haben. Was hat sie zurückgehalten? Wenn sie hinter diesen Morden stecken, warum haben sie jetzt plötzlich damit angefangen? Könnte das irgendetwas mit Schattenschwinge zu tun haben?«
Während meine Worte noch in der Luft hingen, kam Iris herein, mit einer geblümten, dampfenden Teekanne und drei Tassen auf einem Tablett, dazu einem Kelch Blut für Menolly und einem Teller Kekse.
Vorsichtig stellte sie das Tablett auf dem Couchtisch ab und starrte dann, die Hände in die Hüften gestemmt, zu mir herauf. »Bist du von Sinnen? Glaubst du, du könntest einfach so ins Reich des Herbstkönigs hineinspazieren und sagen: ›Tagchen, Kumpel , erzähl mir doch mal was über diese Spinnennester... ‹?«
Das Wort Kumpel klang aus Iris’ Mund so seltsam, dass wir alle in Lachen ausbrachen. Sie zog die Augenbrauen hoch und sagte mit hochmütiger Miene. »Benehmt euch, sonst streue ich Feenstaub in eure Betten, und ihr werdet euch wochenlang kratzen.«
»Jawohl, Ma’am«, sagte Menolly, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Iris war die eine Person, der Menolly niemals widersprach, die sie nie anschrie oder barsch anredete. Camille und ich vermuteten, dass Iris und Maggie Menolly ein Gefühl von Stabilität gaben, wie sie es seit ihrer Verwandlung nicht mehr erlebt hatte. Die Unschuld des Gargoyle-Babys und die Häuslichkeit des geschäftigen Hausgeists erinnerten sie daran, wie ihr Leben früher gewesen war.
Ich nahm mir eine Tasse Tee und schnupperte an dem Dampf, der daraus aufstieg. Er duftete nach Honig und Orangenblüten. »Mm, ist das Richyablüten-Tee?«
Iris nickte. »Ich war letzte Woche schnell in der Anderwelt, um ein paar Sachen zu besorgen. Ich weiß, dass ihr Mädchen Richyablüten-Tee mögt, deshalb habe ich einen kleinen Vorrat mitgebracht.« Unsere unausgesprochene Frage hing dick in der Luft, und Iris ließ sich seufzend mit Tasse und Untertasse in der Hand auf einem Sessel nieder. »Ich war nicht in Y’Elestrial, Mädchen, also kann ich euch nicht sagen, was dort vor sich geht. Aber euer Vater hat recht: Es herrscht Krieg. Anzeichen dafür waren überall zu sehen.«
Die Unterhaltung über den Herbstkönig war vorerst verdrängt von den Gedanken an zu Hause, die unser aller Herzen erfüllten.
»Wo warst du denn?«, fragte Camille, deren Gesichtsausdruck reinste Sehnsucht war.
»Ich war in Aladril, der Stadt der Seher. Sie bleiben in dem Konflikt zwischen Tanaquar und Lethesanar neutral. Sie weigern sich, Partei zu ergreifen, und ihre Magie ist stark genug, um jeden abzuschrecken, der auf die Idee käme, sie zu irgendetwas zwingen zu wollen.« Iris blinzelte und nippte an ihrem Tee.
Aladril war prachtvoll, eine Stadt schlanker Türme und Spitzen, die in den Himmel ragten. Die Stadt war aus schimmerndem Marmor erbaut, und niemand wusste, wie lange es sie schon gab – nur dass sie durch die Nebel in die Anderwelt gekommen war, kurz nach der Großen Spaltung, vollständig und damals bereits uralt. Es war eine magische Stadt, und Besucher waren zwar willkommen, doch der Großteil der Geschäfte wurde hinter verschlossenen Türen getätigt. Ob die berühmten Seher Menschen oder Feen waren, wusste niemand. Sie sahen zwar menschlich aus, lebten aber viel zu lange, um menschlich zu sein , und sie blieben unter sich,
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