Schwestern des Mondes 06 - Vampirliebe-09.06.13
hielt ich inne. Harold wohnte in einem verdammt großen Haus, aber es sah nicht so ordentlich aus wie das seiner Nachbarn, und mehrere Autos und ein Lieferwagen standen in der Einfahrt, die von der Straße bis hinters Haus reichte. Ich fand den Briefkasten am Straßenrand und warf mit Hilfe einer kleinen Taschenlampe einen Blick auf die Namen. Harold Young, da stand er, gemeinsam mit einem halben Dutzend weiterer männlicher Namen. Harold hatte also Mitbewohner.
Ich schlich mich über den Rasen und versteckte mich hinter einer der großen Tannen auf dem Grundstück, das doppelt so breit war wie die Nachbargrundstücke. Das Haus hatte drei Stockwerke, und ich entdeckte, dass in einem Zimmer im obersten Stock Licht brannte. Hm, da war jemand noch wach, und ich wollte wissen, wer das war.
Es stand kein Baum dicht genug am Fenster, um hinaufzuklettern. Ich hätte meinen Schwebetrick anwenden können und wäre vermutlich unbemerkt geblieben, entschied mich aber dafür, es mal wieder mit der Verwandlung in eine Fledermaus zu versuchen. Auf meine Fähigkeiten darin war ich nicht gerade stolz. Manche Vampire meisterten die Kunst, manche bekamen den Dreh nie heraus, und andere - so wie ich - waren recht schwach darin, konnten sich aber eine Weile in der Luft halten. Wenn es windig gewesen wäre, hätte ich es gar nicht erst versucht. Ich als Fledermaus und der Wind, wir vertrugen uns nicht so gut.
Ich schloss die Augen und versuchte, mich auf die Gestaltwandlung zu konzentrieren. Im Gegensatz zu Delilahs Wernatur war dies kein natürlicher Vorgang für mich, und er fiel mir nicht so leicht. Aber nachdem ich einen Moment lang das Bild einer Fledermaus in meinen Gedanken festgehalten hatte, spürte ich, wie mein Körper sich zu transformieren be gann. Die Verwandlung war mir schrecklich unheimlich. Das Gefühl gefiel mir überhaupt nicht. Es tat nicht weh, aber es fühlte sich einfach falsch an, und ich kam mir dabei sehr verletzlich vor.
Gleich darauf schwebte ich in der Luft. Menolly, die Vampirin, o ja. Vampirfledermaus . Ich zügelte meine Ungeduld und konzentrierte mich darauf, zu dem Dachfenster im zweiten Stock hinaufzuflattern. Ich schaffte es bis zum Dach direkt vor dem Fenster. Es war steil, mit leicht überhängenden Traufen. Ich hielt mich vor dem Fenster ruhig in der Luft und spähte nach drinnen.
Das Zimmer war hell erleuchtet, aber ich konnte trotzdem kaum etwas sehen. Fledermäuse waren nicht blind, wie so viele Leute glaubten, aber in meiner normalen Gestalt sah ich wesentlich besser. Frustriert landete ich sacht auf dem Dach, vergewisserte mich, dass ich von dieser Stelle aus nicht so leicht herunterfallen konnte, und ließ dankbar meine geflügelte Gestalt wieder los. Irgendwie konnte ich mir eine Zukunft, in der ich viel flog, nicht recht vorstellen.
Sobald ich mich zurückverwandelt und festgestellt hatte, dass ich noch an einem Stück war, drückte ich mich flach an die Dachschindeln und spähte wieder in den Raum hinein. Viel besser . Das Licht gewährte mir einen guten Blick, und zum Glück war das Zimmer gerade leer.
Von meinem Versteck aus konnte ich ein Einzelbett sehen ungemacht. Die Bettwäsche sah schmuddelig aus. Schmutzige Kleidung lag über den Boden verstreut, dazwischen ein paar Pizzaschachteln und ein halbes Dutzend Lehrbücher. Poster waren mit Reißzwecken an die Wände geheftet. Die meisten zeigten Fantasy-Motive - Zauberer und Schlösser und halb nackte Vallejo-Walküren. Ich betrachtete eine von ihnen, angezogen von ihren üppigen Brüsten und der goldenen Haut. Sie ähnelte Nerissa sehr, und ich war auf der Stelle scharf.
Ich wandte mich wieder meiner eigentlichen Aufgabe zu. Auf der Kommode herrschte ein Durcheinander persönlicher Gegenstände: Bürste, Kamm, etwas, das aussah wie ein Rasierapparat, eine Brieftasche, Kleingeld und alles mögliche andere Zeug, das man so in den Taschen herumtrug. Der Schreibtisch war unter Büchern und Unterlagen begraben. Verbindungsstudent . Konnte gar nicht anders sein. Und das hier war vermutlich ein Verbindungshaus, denn keine Mutter, die bei klarem Verstand war, würde ihrem Sohn ein derart schmutziges Zimmer durchgehen lassen.
Und dann bemerkte ich eine Schautafel an der Wand. Sie hing zwischen einer besonders vollbusigen Amazone und irgendeinem Technik-Diagramm. Ich kniff die Augen zusammen und fokussierte darauf. Die Symbole auf dem Blatt Papier kamen mir vage bekannt vor und ließen eine Alarmglocke in meinem Bauch losschrillen, aber
Weitere Kostenlose Bücher