Schwestern des Mondes 09 - Vampirblut-09.06.13
»Komm mal mit.«
Er folgte mir ein Stück den Flur entlang. »Was gibt’s?«
»Du fährst nach Hause. Halte bitte unterwegs an und besorge Delilah ein paar ihrer Lieblingssüßigkeiten, ja? Nimm Camilles Auto, aber um aller Götter willen, fahr es nicht zu Schrott.«
Vanzir hatte erst seit zwei Wochen den Führerschein. Fahren konnte er schon lange, aber er hatte sich nie die Mühe gemacht, die Verkehrsregeln zu lernen. Vor ein paar Monaten hatte er mitten in der Nacht unsere Werwolf-Freundin Amber und eines der Geistsiegel zu Großmutter Kojote in Sicherheit gebracht. Nach dieser Irrsinnsfahrt hatten wir dafür gesorgt, dass er sich ein Anderwelt-ÜW-Visum ausstellen ließ und den Führerschein machte. Dem Amt gegenüber hatten wir angegeben, er sei ein Gestaltwandler – eine Lüge, aber die sollten nicht wissen, dass hier Dämonen herumliefen. Die meisten ÜW zweifelhafter Herkunft benutzten diesen Trick, und bisher waren die Behörden noch nicht dahintergekommen.
Er schüttelte den Kopf. »Ich sollte bei deiner Schwester bleiben.«
»Hör mal zu.« Ich senkte die Stimme, beugte mich vor und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust. »Ich weiß nicht, was zwischen euch beiden passiert ist, und ich habe das Gefühl, dass es mir nicht gefallen wird, wenn ich es irgendwann erfahre. Aber du hilfst uns jetzt am meisten, indem du tust, was ich sage. Camille hat einen Schock erlitten, ihr Mann liegt auf dem OP-Tisch, und wenn du irgendetwas getan haben solltest, das zu ihrem Schockzustand beigetragen hat, dann werde ich … Moment mal. Wenn du ihr etwas getan hast, warum bist du dann nicht tot? Sie könnte dich durch einen bloßen Gedanken umbringen.« Vielleicht hatte ich mich doch getäuscht. Aber Vanzirs Gesichtsausdruck verriet mir, dass ich nicht weit danebenlag.
»Deine Schwester hat mehr Mitgefühl, als ich verdiene.« Er schüttelte den Kopf und nahm mir Camilles Autoschlüssel aus der Hand. »Ich werde tun, was du sagst. Sorge dafür, dass sie reichlich zu essen bekommt. Der Schock von … aus dem Tunnel wird sich legen, dann geht es ihr wieder gut. Ich hoffe nur, dass Morio durchhält.«
Als Vanzir hinausging, beschlich mich das Gefühl, dass irgendetwas in Gang gesetzt worden war, das nicht gut enden konnte.
Ich wollte zu Camille zurück, blieb jedoch abrupt stehen. Sie blickte Sharah entgegen, die über den Flur auf sie zukam. Ich sah die Anspannung, mit der sie sich für die Neuigkeiten aus dem OP wappnete, und fürchtete mich beinahe davor, ihr zu nahe zu kommen. Schweigend ging ich zu ihr und nahm ihre Hand. Alles um uns herum schien wie in Zeitlupe abzulaufen, ich schloss die Augen und hatte auf einmal den Refrain von Cat Powers Werewolf im Kopf.
Camille sagte nichts. Sie stand nur auf, straffte die Schultern und ließ die Decke hinter sich auf den Stuhl fallen. Sie rannte nicht auf Sharah zu, wich nicht vor ihr zurück, sondern blieb entschlossen mitten auf dem Flur stehen. Ihre Hand zitterte, und ich konnte ihren flatternden Atem hören, während sie um Beherrschung rang.
Sharah bewegte sich wie durch Wasser, so langsam und bedächtig. Sie trug einen blutgetränkten OP-Kittel, und sogar ihr flachsblondes Haar hatte ein paar Spritzer abbekommen. Sie wirkte undurchschaubar, wie die meisten Elfen.
Sie blieb vor uns stehen und hob die Hand mit dem Klemmbrett.
Camille wartete, als fürchtete sie sich davor, als Erste zu sprechen.
»Wie geht es ihm?«, fragte ich an ihrer Stelle.
Sharah überflog noch einmal die Aufzeichnungen. »Er lebt. Aber er ist schwerverwundet. Er hat viel Blut verloren, und eine Hälfte seiner Leber. Zwei Fingerbreit höher, und der Pflock hätte nichts davon übrig gelassen. Die Leber kann sich zwar regenerieren, aber es steht trotzdem ernst um ihn.«
»Wird er es überleben?«, flüsterte Camille.
»Wenn er den Rest der Operation übersteht, hat er eine Chance. Mallen arbeitet jetzt an ihm – er repariert Schäden im Gewebe, die so hauchfein sind, dass ich sie kaum sehen kann. Wenn Morio die Operation hinter sich hat, werden die nächsten vierundzwanzig Stunden entscheidend sein.« Sharah presste die Lippen zusammen und seufzte leise.
»Wie stehen seine Chancen?« Die Stimme meiner Schwester war heiser vor Anspannung. Sie wahrte nur noch mühsam die Fassung.
»Ich würde sagen, sechzig Prozent. Mallen ist ein sehr begabter Chirurg und kann praktisch Wunder wirken, aber es ist so viel Gewebe zerstört worden, dass wir Schwierigkeiten haben, alle
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