Schwesternkuss - Roman
ausgeschaltet war. »Egal. Wie geht es dir?«
»Mir ging es schon mal besser.«
»Schmerzen?«
»Noch nicht.«
»Man hat auf dich geschossen. Seit wann bist du im Krankenhaus?«
»Keine Ahnung.«
»Kann ich etwas für dich tun?«
»Nicht wirklich. Die Vorhut ist da, und die Nachhut mit Frank ist unterwegs.«
»Sehr gut.« Anthony trat von einem Fuß auf den anderen, er fühlte sich unbehaglich. »Ich gehe jetzt wohl besser. In den Nachrichten sagten sie, du hättest großes Glück gehabt.«
»Ich war ja schon immer ein Glückspilz«, sagte Judy. Alle lachten.
»Okay, man sieht sich.« Anthony gab Judy ein Küsschen auf die Wange und ging zur Tür. »Gute Besserung, Judy.«
»Danke.«
»Goodbye.« Nachdem Anthony gegangen war, sahen alle neugierig zu Mary.
»Werden hier auch Herzschmerzen behandelt?«, fragte sie.
101
Bennie saß auf dem Rücksitz des Streifenwagens neben Grady und sah ungeduldig zur Windschutzscheibe hinaus, wo eine endlose Schlange von roten Rücklichtern sich kaum vorwärtsbewegte. Die Handtasche lag auf ihrem Schoß. »Geht’s nicht schneller?«, fragte sie durch das Trenngitter hindurch.
»Leider nicht. Viel Verkehr und dazu das Wetter.«
»Schalten wir die Sirene ein.«
»Unser Plan ist ein anderer. Einmal wollen wir ihr keinen Tipp geben, und zweitens wird das Flugzeug nicht starten. Wir wissen, was wir tun. Entspannen Sie sich.«
Bennie versuchte es. Der Stau löste sich allmählich auf, der Streifenwagen gab ordentlich Gas, ein Minivan und ein Geländewagen machten die Überholspur frei.
Grady streichelte ihren Arm. »Gleich sind wir da. Ist alles in Ordnung?«
»Ja.«
»Auch mit deiner Hand? Die sieht nicht gut aus.«
»Doch.«
Vor ihnen lagen die vielen Lichter des Flughafens, die die Nacht glanzvoll erhellten.
»Schnell, schnell, schnell«, sagte Bennie im Flüsterton.
102
»Schnell, schnell, schnell«, sagte Alice im Flüsterton. Das Taxi verließ den Highway und bog in die Auffahrt zum Flughafen ein.
»Haben wir es doch noch geschafft.«
»Tempo. Tempo.«
»Ist schon recht.«
Alice holte aus der durchnässten Kuriertasche das Geld für den Taxifahrer und fuhr sich durchs nasse Haar, um es zu glätten. Nur wenige Wagen parkten vor dem Terminal. Polizisten waren keine zu sehen.
Ein Lächeln überzog ihr Gesicht. Sehr, sehr bald wäre sie außer Landes, weit weg von Q, der Polizei und Bennie. An Geld würde es ihr nie mehr mangeln. Sie könnte tun, was sie wollte. Bald würde sie frei sein.
Das Taxi hielt vor dem Terminal. »Endstation. Gut und sicher angekommen, oder?«
Alice gab dem Fahrer ein Bündel Geldscheine. »Und nicht vergessen, Sie haben mich nie gesehen?«
»Wen habe ich nie gesehen?« Der Taxifahrer lachte.
Alice sprang aus dem Taxi und raste los.
103
»Die Party ist vorbei. Zu gern würde ich ein Auge zudrücken, aber sehen Sie auf die Uhr.« Eine temperamentvolle Krankenschwester, die selbst zu dieser späten Stunde noch guter Laune war, bat Mary und ihre Eltern zu gehen.
Mary verzog das Gesicht. »Schade, dass Frank es nicht rechtzeitig geschafft hat.«
»Kein Problem. Ihr wart ja da«, sagte Judy.
»Sie brauchen Ruhe, Miss Carrier.« Die Schwester holte eine Blutdruckmanschette aus einem Plastikkorb, der an der Wand angebracht war. »Außerdem gibt es ein paar Medikamente für Sie.«
Mary drückte Judys Arm. »Und du schaffst es ganz allein?«
»Jawohl.« Judy blinzelte sie mit ihren müden blauen Augen an. »Und du auch? Ohne Anthony?«
»Sicher.« Mary gelang es zu lächeln. Ma und Pa gaben Judy einen Abschiedskuss.
»Und ich bekomme wohl keinen?« Die Schwester lachte, als sie die schwarze Manschette um Judys Oberarm band.
»Bis bald, liebe Freundin.«
Marys Eltern trotteten aus dem Krankenzimmer. Sie ließen den Kopf hängen. Wahrscheinlich hatten sie in der Minute ihre eigenen Probleme wieder eingeholt. Mary legte den Arm um ihre Mutter. »Arme Judy«, sagte Ma leise, während Pa allein hinter ihnen her schlurfte.
Wie ein trübsinniges Trio standen sie stumm im Aufzug nebeneinander. Auch beim Verlassen des Krankenhauses sagte keiner ein Wort. Mary lotste Ma und Pa an den Reportern und Videokameras vorbei und rief der neugierigen Meute beständig zu: »Kein Kommentar!« Endlich saßen die drei im Taxi auf der Fahrt nach Hause. Da beendete Ma ihr Schweigen.
»Maria, bleib heute Nacht zu Hause. Bleib zu Hause.«
»Das mache ich, Ma.« Ihre Mutter litt. Das wusste Mary, auch wenn sie in der Dunkelheit ihr Gesicht nicht
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