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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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geschlossene Fenster. Doch im Haus war es so still, dass sie ihren eigenen Herzschlag hören konnte. Hast du so deine Nächte verbracht?, fragte sie sich. In diesem Haus, umringt von dunklen Wäldern?
    Bevor sie an diesem Abend ins Bett ging, schloss sie die Schlafzimmertür ab, dann stellte sie noch einen Stuhl unter die Klinke. Es war ihr fast ein bisschen peinlich. Es gab nichts, wovor sie sich fürchten musste, und doch fühlte sie sich hier stärker bedroht als in Boston, wo die Beutejäger Menschengestalt hatten und weitaus gefährlicher waren als jedes wilde Tier, das sich in diesen Wäldern verbergen mochte.
    Anna hat sich hier auch gefürchtet.
    Sie konnte die Angst spüren, die in diesem Haus mit seinen doppelt und dreifach gesicherten Türen noch immer in der Luft hing.
     
    Ein schrilles Kreischen ließ sie aus dem Schlaf hochfahren. Mit wild pochendem Herzen lag sie da und rang nach Luft. Nur eine Eule – kein Grund zur Panik. Sie war mitten im
Wald, da war es doch wohl normal, dass man ab und zu einen Tierlaut hörte. Ihr Bettlaken war schweißnass. Sie hatte das Fenster verriegelt, ehe sie zu Bett gegangen war, und jetzt war es entsetzlich stickig im Zimmer. Ich kriege keine Luft mehr, dachte sie.
    Sie stand auf und schob das Fenster hoch. Während sie die frische Luft tief in ihre Lungen sog, blickte sie hinaus auf die Bäume, deren Blätter im Mondschein silbrig glänzten. Nichts rührte sich; der Wald lag still da.
    Sie legte sich wieder ins Bett, und diesmal schlief sie tief und fest bis zum Morgen.
    Bei Tageslicht sah alles ganz anders aus. Sie hörte die Vögel zwitschern, und als sie aus dem Fenster schaute, entdeckte sie, wie zwei Hirsche durch den Garten huschten und in Richtung Wald davonsprangen, sah ihre weißen Schwänze aufblitzen, bis sie im Unterholz verschwunden waren. Helles Sonnenlicht fiel ins Zimmer, und als ihr Blick auf den Stuhl fiel, den sie am Abend unter die Türklinke gestellt hatte, kam ihr diese Vorsichtsmaßnahme plötzlich vollkommen irrational vor. Das werde ich keinem Menschen erzählen, dachte sie, als sie ihn herauszog.
    Sie ging in die Küche, um sich Kaffee zu machen. Im Kühlschrank fand sie eine Tüte French Roast – Annas Kaffee. Sie goss heißes Wasser in den Filter und sog das intensive Aroma ein. Sie war umgeben von Dingen, die Anna gekauft hatte. Mikrowellen-Popcorn und Spaghetti. Pfirsichjoghurt und Milch, alles längst über das Verfallsdatum hinaus. Jeder Artikel stand für einen Augenblick im Leben ihrer Schwester, als sie vor dem Regal im Supermarkt gestanden und gedacht hatte: Das brauche ich auch noch. Und später, zu Hause angekommen, hatte sie die Tüten ausgepackt und ihre Einkäufe eingeräumt. Wenn Maura den Inhalt der Schränke betrachtete, war es die Hand ihrer Schwester, die sie sah, wie sie Tunfischdosen auf den mit geblümtem Papier bezogenen Regalbrettern stapelte.
    Sie ging mit ihrem Kaffee auf die Veranda und trank ihn
dort im Stehen, während sie den Blick über den kleinen, mit Flecken von Sonnenlicht gesprenkelten Garten schweifen ließ. Alles ist so grün hier, dachte sie voller Staunen. Das Gras, die Bäume, selbst das Licht. Hoch oben im Laubdach sangen die Vögel. Jetzt verstehe ich allmählich, warum sie sich entschlossen hat, hier zu leben. Warum sie jeden Morgen beim Aufwachen den Duft des Waldes riechen wollte.
    Plötzlich erhob sich in den Wipfeln ein wildes Geflatter; ein neues Geräusch hatte die Vögel aufgeschreckt – das dumpfe Grollen von Maschinen. Maura konnte den Bulldozer nicht sehen, aber hören konnte sie ihn umso deutlicher, irgendwo hinter den Bäumen, und er klang unangenehm nahe. Sie erinnerte sich an das, was Miss Clausen ihr gesagt hatte: dass das Grundstück nebenan gerade gerodet wurde. Das war’s dann wohl mit dem friedlichen Sonntagmorgen.
    Sie ging die Stufen hinunter und bog um die Hausecke, um zu versuchen, durch die Bäume einen Blick auf den Bulldozer zu erhaschen, doch das Unterholz war zu dicht, sie konnte nichts sehen. Dafür entdeckte sie Tierfährten im Waldboden direkt vor ihren Füßen, und sie erinnerte sich an die zwei Hirsche, die sie am Morgen vom Schlafzimmerfenster aus gesehen hatte. Sie folgte ihnen an der Seite des Hauses entlang und entdeckte noch weitere Spuren ihres Besuchs – die angeknabberten Blätter der Funkien, die nahe dem Haus wuchsen. Maura staunte über die Dreistigkeit dieser Tiere, die sich beim Äsen bis an die Hauswand vorgewagt hatten. Sie ging weiter nach hinten

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