Schwesternmord
frei. Maura parkte den Lexus neben Miss Clausens Pick-up und stieg aus. Ein paar Sekunden stand sie auf der stillen Lichtung und betrachtete das Haus. Holzstufen führten auf eine überdachte Veranda, wo eine Hollywoodschaukel bewegungslos in der windstillen Luft hing. In einem kleinen schattigen Garten kümmerten Taglilien und Fingerhut vor sich hin. Von allen Seiten schien der Wald bedrohlich näher zu rücken, und Maura atmete unwillkürlich schneller, als sei sie in einem engen Raum gefangen. Die Luft selbst wirkte bedrückend.
»Es ist so still hier«, sagte Maura.
»Ja, liegt ein ganzes Stück außerhalb der Stadt. Das machte die Lage hier am Berg so attraktiv. Der Immobilienboom wird bald auch hier oben ankommen, glauben Sie mir. Ein paar Jahre noch, dann schießen hier an der Straße die Neubauten nur so aus dem Boden. Jetzt ist der ideale Zeitpunkt zum Kaufen.«
Weil es einfach perfekt ist, hätte Maura noch erwartet.
»Ich lasse gerade gleich hier nebenan ein Baugrundstück roden«, sagte Miss Clausen. »Nachdem Ihre Schwester eingezogen war, dachte ich mir, es wird Zeit, die anderen Grundstücke auch baufertig zu machen. Wenn die Leute mal sehen, dass hier oben jemand wohnt, bringt das die Sache gleich ins Rollen, und dann dauert es nicht lange, bis sie sich um die Nachbargrundstücke reißen.« Sie sah Maura nachdenklich an. »Was für ein Doktor sind Sie denn eigentlich?«
»Ich bin Pathologin.«
»Das heißt – was? Sie arbeiten in einem Labor?«
Die Frau ging ihr allmählich auf die Nerven. »Ich habe mit Leichen zu tun«, gab sie schroff zur Antwort.
Doch die Information schien die Frau nicht im Geringsten aus der Fassung zu bringen. »Tja, dann haben Sie ja bestimmt regelmäßige Arbeitszeiten. Viele freie Wochenenden. Da haben Sie doch vielleicht Interesse an einem Sommerhäuschen. Das Grundstück nebenan ist bald baufertig. Wenn Sie je mit dem Gedanken gespielt haben, sich ein kleines Ferienhäuschen zuzulegen – einen günstigeren Zeitpunkt zum Investieren werden Sie nie mehr finden.«
Jetzt wusste sie also, wie es war, einer Immobilienmaklerin hilflos ausgeliefert zu sein. »Ich habe kein Interesse, Miss Clausen«, sagte sie.
»Oh.« Die Frau stieß leicht indigniert etwas Luft aus, drehte sich um und stapfte die Stufen zur Veranda hinauf. »Na, dann kommen Sie mal rein. Wenn Sie schon hier sind, können Sie mir ja auch gleich sagen, was ich mit den Sachen Ihrer Schwester machen soll.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dazu befugt bin.«
»Ich weiß doch nicht, was ich mit dem ganzen Kram anfangen soll. Jedenfalls habe ich keine Lust, das Zeug auf meine Kosten einzulagern. Ich muss das Haus räumen, wenn ich es jemals verkaufen oder neu vermieten will.« Sie klimperte mit ihrem Schlüsselbund, bis sie den richtigen gefunden hatte. »Ich verwalte den größten Teil der Mietobjekte in dieser Stadt, und es war nicht gerade einfach, jemanden für dieses Haus zu finden. Ihre Schwester hatte einen Halbjahresvertrag unterschrieben, wissen Sie.«
Bedeutet Annas Tod ihr denn nicht mehr als das?, fragte sich Maura. Nur entgangene Mieteinnahmen und ein Objekt, für das ein neuer Mieter gefunden werden muss? Sie mochte diese Frau nicht, mit ihrem Schlüsselgerassel und den Dollarzeichen in den Augen. Die Immobilienkönigin von Fox Harbor, deren einzige Sorge es offenbar war, ihre monatlichen Mietzahlungen einzutreiben.
Endlich stieß Miss Clausen die Tür auf. »Bitte, gehen Sie nur rein.«
Maura betrat das Haus. Zwar hatte das Wohnzimmer recht große Fenster, aber wegen der dicht stehenden Bäume war es jetzt am Spätnachmittag schon ziemlich düster. Sie sah dunkle Kiefernholzböden, einen zerschlissenen Teppich, ein durchgesessenes Sofa. Die verblichene Tapete hatte ein Muster aus grünen Reben, die das ganze Zimmer umrankten und Mauras Gefühl, von wucherndem Grün erstickt zu werden, noch verstärkten.
»Es war komplett möbliert«, sagte Miss Clausen. »Dafür habe ich ihr wirklich einen guten Preis gemacht.«
»Wie viel?«, fragte Maura und blickte durch das Fenster auf eine Wand aus Bäumen.
»Sechshundert im Monat. Ich könnte viermal so viel verlangen, wenn das Haus näher am Wasser wäre. Aber der Mann, der es gebaut hat, wollte nun mal lieber ungestört sein.« Miss Clausen blickte sich prüfend im Wohnzimmer um, als ob sie es sich schon eine ganze Weile nicht mehr richtig angeschaut hätte. »Ich war ja ein bisschen überrascht, als sie anrief und sich nach dem Haus
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