Schwesternmord
Leichen.« O’Donnell hielt inne. Und fragte mit leiser Stimme: »Bereitet es Ihnen manchmal Vergnügen?«
Maura sah ihr direkt in die Augen. »Nein.«
»Sie haben einen Beruf gewählt, der Ihnen keinen Spaß macht?«
»Ich habe die Herausforderung gewählt. Darin liegt schon eine Befriedigung. Auch wenn die Arbeit selbst nicht besonders angenehm ist.«
»Aber verstehen Sie denn nicht, worauf ich hinauswill? Sie erzählen mir, dass Sie in Amalthea Lank nichts Vertrautes erkennen können. Sie schauen sie an, und wahrscheinlich sehen Sie etwas Entsetzliches. Oder zumindest eine Frau, die entsetzliche Dinge getan hat. Es gibt Leute, Dr. Isles, die vermutlich das Gleiche von Ihnen denken, wenn sie Sie anschauen.«
»Sie können mich doch unmöglich mit ihr vergleichen.«
»Wissen Sie, weswegen Ihre Mutter verurteilt wurde?«
»Ja, das hat man mir gesagt.«
»Aber haben Sie auch die Autopsieberichte gesehen?«
»Noch nicht.«
»Aber ich. Während der Verhandlung wurde ich von der Verteidigung um ein Gutachten über den Geisteszustand Ihrer Mutter gebeten. Ich habe die Fotos gesehen und mir ein Bild von der Beweislage gemacht. Wussten Sie, dass die beiden Opfer Schwestern waren? Junge Frauen, die unterwegs eine Autopanne hatten.«
»Ja.«
»Und die jüngere war im neunten Monat schwanger.«
»Das weiß ich alles.«
»Dann wissen Sie also auch, dass Ihre Mutter diese beiden Frauen am Highway aufgelesen hat. Sie fährt sie dreißig Meilen weiter bis zu einem Schuppen im Wald, wo sie ihnen mit einem Montiereisen den Schädel einschlägt. Und dann tut sie etwas überraschend, ja erschreckend Logisches. Sie fährt zu einer Tankstelle und füllt einen Kanister mit Benzin. Fährt dann zurück zum Schuppen und steckt ihn in Brand, mit den zwei Leichen darin.« O’Donnell neigte den Kopf zur Seite. »Finden Sie das nicht interessant?«
»Ich finde es widerwärtig.«
»Ja, aber auf einer bestimmten Ebene empfinden Sie vielleicht doch etwas anderes – etwas, das Sie sich selbst nicht eingestehen wollen. Nämlich, dass diese Handlungen Ihre Neugier wecken, und zwar nicht nur als anspruchsvolle Denksportaufgabe. Irgendetwas daran fasziniert Sie, erregt Sie sogar.«
»So, wie es Sie ganz offensichtlich erregt?«
O’Donnell schien Maura die Bemerkung keineswegs übel zu nehmen. Vielmehr registrierte sie sie mit einem entspannten Lächeln. »Mein Interesse ist rein fachlicher Natur. Es gehört zu meinem Beruf, mich mit Mordhandlungen
zu befassen. Ich frage mich lediglich, was die Gründe für Ihr Interesse an Amalthea Lank sind.«
»Vorgestern habe ich noch nicht gewusst, wer meine Mutter ist. Jetzt versuche ich mich mit der Wahrheit auseinander zu setzen. Ich versuche zu begreifen …«
»Wer Sie sind?«, fragte O’Donnell leise.
Maura erwiderte ihren Blick. »Ich weiß , wer ich bin.«
»Sind Sie sicher?« O’Donnell beugte sich noch weiter vor. »Wenn Sie in Ihrem Autopsiesaal stehen und die Wunden eines Opfers untersuchen, wenn Sie die Messerstiche eines Killers beschreiben, verspüren Sie da nicht manchmal eine leise Erregung?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Sie sind Amaltheas Tochter.«
»Das ist ein biologischer Zufall. Sie hat mich nicht großgezogen.«
O’Donnell lehnte sich in ihrem Sessel zurück und musterte Maura mit kalten, abschätzenden Blicken. »Sie wissen doch, dass Gewalttätigkeit auch eine genetische Komponente hat? Dass sie bei manchen Familien in der DNA angelegt ist?«
Maura erinnerte sich an das, was Rizzoli ihr über Dr. O’Donnell gesagt hatte. Sie ist mehr als nur neugierig. Sie will wissen, wie es ist, die Haut aufzuschlitzen und zuzusehen, wie das Opfer verblutet. Wie es ist, diese absolute Macht zu spüren. Sie giert nach Details, wie ein Vampir nach Blut giert. In diesem Moment konnte Maura diese Gier in O’Donnells Augen aufblitzen sehen. Dieser Frau macht es Spaß, mit Ungeheuern in Menschengestalt Zwiesprache zu halten. Und sie hofft, in mir ein neues Exemplar gefunden zu haben.
»Ich bin gekommen, um mich mit Ihnen über Amalthea zu unterhalten«, sagte Maura.
»Haben wir denn nicht die ganze Zeit über sie gesprochen?«
»In Framingham sagte man mir, Sie hätten sie mindestens
ein Dutzend Mal besucht. Warum so oft? Erzählen Sie mir nicht, dass es Ihnen dabei um Amaltheas Wohl ging.«
»Ich interessiere mich als Forscherin für Amalthea. Ich will verstehen, was Menschen dazu treibt, Morde zu begehen. Warum es ihnen Vergnügen bereitet.«
»Wollen Sie damit
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