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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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nicht eingeschaltet, und dennoch war seine Präsenz ein weiteres einschüchterndes Detail, das Mauras Unbehagen noch verstärkte.
    »Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen«, sagte Maura.
    »Ich war neugierig. Ich habe mich gefragt, was Amaltheas Tochter wohl für ein Mensch ist. Ich habe von Ihnen gehört, Dr. Isles, aber ich weiß nur, was ich in der Zeitung gelesen habe.« Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück, augenscheinlich vollkommen entspannt. Heimvorteil. Sie war diejenige, die ihrer Besucherin einen Gefallen gewähren konnte, Maura dagegen war bloß eine Bittstellerin. »Über Sie persönlich weiß ich rein gar nichts. Aber es würde mich interessieren, mehr zu erfahren.«
    »Wieso?«
    »Ich kenne Amalthea sehr gut. Da stellt sich mir unwillkürlich die Frage …«
    »Wie die Mutter, so die Tochter?«
    O’Donnell zog eine Augenbraue hoch. »Das haben Sie gesagt, nicht ich.«
    »Das ist der Grund, weshalb Sie neugierig auf mich sind. Nicht wahr?«
    »Und was ist der Grund für Ihre Neugier? Wieso sind Sie hier?«
    Mauras Blick ging zu dem Gemälde über dem Kamin. Es war ein streng modernistisches Werk, eine Komposition aus roten und schwarzen Pinselstrichen. »Ich will wissen, wer diese Frau wirklich ist.«
    »Sie wissen, wer sie ist. Sie wollen es nur nicht glauben. Ihre Schwester wollte es auch nicht glauben.«
    Maura sah sie fragend an. »Sie sind Anna begegnet?«
    »Nein, das nicht. Aber vor etwa vier Monaten habe ich einen Anruf von einer Frau bekommen, die sich als Amaltheas Tochter vorstellte. Ich war gerade auf dem Sprung zu einem zweiwöchigen Prozess in Oklahoma, deswegen
konnte ich mich nicht mit ihr treffen. Wir haben uns nur am Telefon unterhalten. Sie hatte ihre Mutter in der Haftanstalt Framington besucht, daher wusste sie, dass ich Amaltheas Psychiaterin war. Sie wollte mehr über sie erfahren. Über Amaltheas Kindheit, ihre Familie.«
    »Und Sie wissen das alles?«
    »Manches steht in ihren Schulakten. Manches konnte sie mir auch selbst sagen, in ihren lichten Momenten. Ich weiß, dass sie in Lowell geboren wurde. Als sie etwa neun Jahre alt war, starb ihre Mutter, und sie zog zu ihrem Onkel und ihrem Cousin in Maine.«
    Maura blickte auf. »In Maine?«
    »Ja. Sie machte ihren High-School-Abschluss in einer Stadt namens Fox Harbor.«
    Jetzt verstehe ich, warum Anna sich diese Stadt ausgesucht hat. Ich bin Annas Spuren gefolgt; sie folgte den Spuren unserer Mutter.
    »Nach der High School gibt es kaum noch Unterlagen«, sagte O’Donnell. »Wir wissen nicht, wohin sie von dort gezogen ist oder wie sie ihren Lebensunterhalt verdient hat. In jenen Jahren ist bei ihr höchstwahrscheinlich die Schizophrenie ausgebrochen. Sie manifestiert sich gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter. Vermutlich hat sie sich über Jahre hinweg ziellos von Ort zu Ort treiben lassen, bis sie schließlich so wurde, wie Sie sie heute erleben. Ausgebrannt und von Wahnvorstellungen verfolgt.« O’Donnell sah Maura an. »Es ist ein ziemlich düsteres Bild. Es ist Ihrer Schwester sehr schwer gefallen, zu akzeptieren, dass Amalthea tatsächlich ihre Mutter ist.«
    »Ich sehe nichts Vertrautes an ihr. Nichts von mir.«
    »Aber ich sehe die Ähnlichkeit. Ich sehe dieselbe Haarfarbe. Die gleiche Kieferform.«
    »Wir gleichen uns ganz und gar nicht.«
    »Sie sehen es wirklich nicht?« O’Donnell beugte sich vor und fixierte Maura. »Verraten Sie mir etwas, Dr. Isles. Wieso haben Sie sich für die Pathologie entschieden?«

    Die Frage verblüffte Maura so, dass sie O’Donnell nur stumm anstarren konnte.
    »Sie hätten jedes beliebige medizinische Fachgebiet wählen können. Obstetrik, Pädiatrie. Sie könnten mit lebenden Patienten arbeiten, doch Sie haben sich für die Pathologie entschieden. Genauer gesagt, für die forensische Pathologie.«
    »Worauf zielt Ihre Frage ab?«
    »Darauf, dass Sie sich irgendwie von den Toten angezogen fühlen.«
    »Das ist absurd.«
    »Und warum haben Sie dann dieses Fachgebiet gewählt?«
    »Weil ich gerne eindeutige Antworten habe. Ratespiele mag ich nicht besonders. Ich ziehe es vor, wenn ich die Diagnose durch die Linse meines Mikroskops sehen kann.«
    »Sie mögen keine Ungewissheit.«
    »Wer mag die schon?«
    »Dann hätten Sie sich auch für Mathematik oder Ingenieurwesen entscheiden können. Es gibt so viele andere Fächer, in denen es auf Präzision ankommt. In denen es eindeutige Antworten gibt. Aber nein, Sie arbeiten im Rechtsmedizinischen Institut, auf Du und Du mit

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