Schwesternmord
sagen, dass man sie früher hätte absetzen müssen.«
»Also, ist sie nun verrückt oder nicht?«
»Das war die anfängliche Diagnose. Schizophrenie.«
»Und wie lautet Ihre Diagnose?«
Maura dachte an Amaltheas stieren Blick, ihre rätselhaften Worte. Worte, die keinen Sinn ergaben, jedenfalls nicht außerhalb der Wahnwelt eines paranoiden Gehirns. »Ich muss mich wohl anschließen«, sagte sie und lehnte sich seufzend zurück. »Ich erkenne mich selbst nicht in ihr, Jane. Ich sehe nichts von mir in dieser Frau.«
»Na, das muss ja eine Erleichterung sein. Unter den Umständen.«
»Aber es gibt sie dennoch, diese Verbindung zwischen uns. Man kann seine eigenen Gene nicht verleugnen.«
»Sie kennen doch den alten Spruch – Blut ist dicker als Wasser? Das ist totaler Quatsch, Doc. Sie haben nichts, aber auch gar nichts mit dieser Frau gemeinsam. Sie hat Sie zur Welt gebracht und gleich nach der Geburt weggegeben. Das ist alles. Ende der Beziehung.«
»Sie kennt so viele Antworten. Sie weiß, wer mein Vater ist. Wer ich bin.«
Rizzoli warf ihr einen strengen Seitenblick zu und wandte sich dann wieder der Straße zu. »Ich will Ihnen einen guten Rat geben. Ich weiß, Sie werden sich fragen, wie ich dazu komme. Glauben Sie mir, ich schüttele das nicht einfach so aus dem Ärmel. Aber Sie müssen die Finger von dieser Frau lassen, von dieser Amalthea Lank. Sie dürfen Sie nicht besuchen, Sie dürfen nicht mit ihr reden. Nicht einmal an sie denken dürfen Sie. Sie ist gefährlich.«
»Sie ist bloß eine ausgebrannte Schizophrene.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
Maura sah Rizzoli an. »Was wissen Sie über sie, was ich nicht weiß?«
Einen Moment lang fuhr Rizzoli schweigend weiter. Es war nicht der Verkehr, der sie ablenkte; sie schien ihre Antwort sorgfältig abzuwägen, schien nach den passenden Worten zu suchen. »Erinnern Sie sich noch an Warren Hoyt?«, fragte sie schließlich. Obwohl sie den Namen ohne erkennbare Gefühlsregung ausgesprochen hatte, spannten sich ihre Kiefermuskeln an, und ihre Hände umklammerten das Lenkrad fester.
Warren Hoyt, dachte Maura. Der Chirurg.
So hatte die Polizei ihn genannt. Den Spitznamen hatten ihm die Gräuel eingebracht, die er an seinen Opfern verübt hatte. Seine Instrumente waren Klebeband und ein Skalpell, seine Opfer Frauen, die in ihren Betten schliefen – die nicht ahnten, dass der Eindringling schon in der Dunkelheit vor ihnen stand und die Vorfreude auf den ersten Schnitt auskostete.
Zuletzt hatte er es auf Jane Rizzoli abgesehen gehabt, seine Widersacherin in einem geistigen Kräftemessen, von dem er nie geglaubt hatte, dass er es verlieren könnte.
Doch es war Rizzoli gewesen, die ihn mit einem einzigen Schuss niedergestreckt hatte. Das Geschoss hatte sein Rückenmark durchschlagen, und seitdem war er querschnittgelähmt. Hilflos ans Bett gefesselt, mit einem Körper, der ihm nicht mehr gehorchte, war für Warren Hoyt die Welt auf ein Krankenhauszimmer zusammengeschrumpft, und die wenigen Genüsse, die ihm in dieser Welt blieben, waren geistiger Natur – denn sein Verstand war noch so messerscharf und gefährlich wie eh und je.
»Natürlich erinnere ich mich an ihn«, sagte Maura. Sie hatte die Folgen seiner Taten gesehen, die schrecklichen Verstümmelungen, die sein Skalpell im Leib eines seiner Opfer angerichtet hatte.
»Ich habe ihn im Auge behalten«, sagte Rizzoli. »Nur um mich zu vergewissern, dass das Ungeheuer immer noch in seinem Käfig ist. Und er ist noch da – er liegt immer noch auf der Station für Rückenmarksverletzte. Und seit acht Monaten bekommt er jeden Mittwochnachmittag Besuch von einer bestimmten Person. Dr. Joyce O’Donnell.«
Maura runzelte die Stirn. »Warum?«
»Sie behauptet, es sei ein Teil ihrer Forschungen zu gewalttätigem Verhalten. Ihre Theorie ist, dass die Mörder nicht für ihre Taten verantwortlich sind. Dass irgendeine Beule am Kopf, die sie sich als Kind eingefangen haben, sie so gewaltbereit macht. Kein Wunder, dass alle Strafverteidiger ihre Nummer im Handy gespeichert haben. Sie wird Ihnen vermutlich erzählen, dass Jeffrey Dahmer einfach nur missverstanden war, dass John Wayne Gacy nur ein paarmal zu oft eins über den Schädel gekriegt hat. Sie würde jeden verteidigen.«
»Jeder tut nun mal das, wofür er bezahlt wird.«
»Ich glaube nicht, dass sie es wegen des Geldes tut.«
»Weswegen dann?«
»Weil sie die Nähe und den persönlichen Kontakt zu Menschen sucht, die getötet haben. Sie
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