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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Richtung Westen. Die Straße führte in einem weiten Bogen an den Außenbezirken von Boston entlang. Am ersten Motel, das sie erblickte, hielt sie an. Das Zimmer, das man ihr zuwies, roch nach Zigaretten und Ivory-Seife. Über den Toilettendeckel war ein Papierband mit der Aufschrift »Frisch desinfiziert« gespannt, und die Zahnputzbecher aus Plastik waren in Folie eingeschweißt. Der Lärm des nahen Highways drang durch die dünnen Wände. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt in einem so billigen und schäbigen Motel übernachtet hatte. Sie rief Rick an, nur ein knappes Gespräch, um ihm mitzuteilen, wo sie war. Dann schaltete sie ihr Handy aus und schlüpfte unter die zerschlissene Bettdecke.
    In dieser Nacht schlief sie so tief und fest wie seit einer Woche nicht mehr.

19
    Nobody likes me, everybody hates me, think I’ll go eat worms. Worms, worms, worms.
    Denk nicht dauernd daran!
    Mattie schloss die Augen und biss die Zähne zusammen, aber sie bekam die Melodie dieses albernen Kinderliedes einfach nicht aus dem Kopf. Immer wieder hörte sie das Gedudel, und immer wieder kam dieser Refrain mit den Würmern.
    Nur dass nicht ich die Würmer essen werde, sondern sie mich.
    Mensch, denk halt an was anderes. An was Nettes, Schönes. Blumen, Kleider. Weiße Kleider mit Chiffon und Perlen. Dein Hochzeitstag. Ja, denk lieber daran.
    Sie rief sich in Erinnerung, wie sie im Brautzimmer der St. John’s Methodist Church gesessen, sich im Spiegel betrachtet und gedacht hatte: Heute ist der schönste Tag meines Lebens. Ich heirate den Mann, den ich liebe. Sie erinnerte sich, wie ihre Mutter hereingekommen war, um ihr zu helfen, den Schleier anzulegen. Wie ihre Mutter sich zu ihr herabgebeugt und ihr mit einem Seufzer der Erleichterung ins Ohr geflüstert hatte: »Ich hätte nie geglaubt, dass ich diesen Tag noch mal erleben würde!« Den Tag, an dem endlich ein Mann ihre Tochter zur Frau nahm.
    Jetzt, sieben Monate später, dachte Mattie über die Worte ihrer Mutter nach, und sie fand, dass es eigentlich keine besonders nette Bemerkung war. Aber an dem Tag hatte nichts ihr Glück trüben können. Nicht die morgendliche Übelkeit, nicht die hohen Absätze, die sie fast umbrachten, und auch nicht die Tatsache, dass Dwayne am Abend der Hochzeit so viel Champagner in sich hineingeschüttet hatte, dass er auf ihrem Hotelbett einschlief, während sie noch im Bad war.
Das hatte alles nichts zu bedeuten – das einzig Wichtige war, dass sie jetzt Mrs. Purvis war und dass ihr Leben, ihr wahres Leben, nun beginnen konnte.
    Und jetzt wird es hier enden, hier in dieser Kiste, wenn Dwayne mich nicht rettet.
    Das wird er doch, oder nicht? Er will mich doch wiederhaben?
    Oh, das war ja noch schlimmer als der Gedanke, von Würmern aufgefressen zu werden. Themenwechsel, Mattie!
    Und wenn er mich nun gar nicht wiederhaben will? Wenn er die ganze Zeit nur gehofft hat, dass ich einfach verschwinde, damit er mit dieser Frau zusammen sein kann? Wenn er selbst derjenige ist, der …
    Nein, nicht Dwayne. Wenn er ihren Tod gewollt hätte, wieso hätte er sie dann in diese Kiste gesperrt? Und sie am Leben gehalten?
    Sie holte tief Luft, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie wollte leben. Sie hätte alles getan, nur um am Leben zu bleiben, aber sie wusste nicht, wie sie sich aus dieser Kiste befreien sollte. Sie hatte schon viele Stunden damit zugebracht, über dieses Problem nachzudenken. Sie hatte mit Fäusten auf die Wände eingeschlagen, hatte ein ums andere Mal mit den Füßen gegen die Decke getreten. Sie hatte daran gedacht, die Taschenlampe zu zerlegen, um vielleicht aus den Einzelteilen etwas bauen zu können – aber was?
    Eine Bombe.
    Sie konnte beinahe hören, wie Dwayne sie auslachte, sie verhöhnte. Na klar, Mattie, wir wissen doch alle, dass du ein zweiter MacGyver bist.
    Aber was soll ich denn tun?
    Würmer …
    Schon bohrten sie sich wieder in ihre Gedanken. Sie blickte in ihre Zukunft, und da sah sie sie unter ihre Haut schlüpfen, an ihrem Fleisch nagen. Sie warteten da draußen in dem Erdreich, das ihre Kiste umschloss. Warteten
nur darauf, dass sie endlich starb. Dann würden sie hereingekrochen kommen, und das Festmahl würde beginnen.
    Sie drehte sich zitternd auf die Seite.
    Es muss doch eine Möglichkeit geben, hier rauszukommen.

20
    Yoshima stand vor der Leiche, eine Spritze mit einer 16-er Nadel in der Hand. Die Tote war eine junge Frau, so abgemagert, dass ihre Bauchhaut wie eine schlaffe Zeltbahn

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