Schwesternmord
zwischen den Hüftknochen hing. Yoshima zog die Haut an der Leiste straff und schob die Nadel schräg in die Oberschenkelvene. Dann zog er den Kolben zurück, und die Spritze füllte sich langsam mit dunklem, fast schwarzem Blut.
Er blickte nicht zu Maura auf, als sie den Saal betrat, sondern konzentrierte sich weiter auf seine Arbeit. Sie sah schweigend zu, wie er die Nadel herauszog und das Blut auf mehrere Glasröhrchen verteilte, alles mit den ruhigen, sicheren Handgriffen eines Mannes, der schon zahllose Probenröhrchen mit dem Blut unzähliger Leichen gefüllt hatte. Wenn ich die Königin der Toten bin, dachte sie, dann ist Yoshima zweifellos der König. Er hat sie entkleidet, hat sie gewogen, hat ihre Leistenbeugen und Hälse nach Venen abgesucht und ihre Organe in Formalin eingelegt. Und wenn die Autopsie beendet ist, wenn ich mit dem Sezieren fertig bin, dann ist er derjenige, der zu Nadel und Faden greift und ihre zerschnittenen Leiber wieder zusammennäht.
Yoshima trennte die Nadel ab und warf die gebrauchte Spritze in den Abfall. Dann hielt er inne und blickte auf die Frau hinunter, der er soeben Blut abgenommen hatte. »Sie wurde heute Morgen eingeliefert«, sagte er. »Ihr Freund hat sie beim Aufwachen tot auf dem Sofa gefunden.«
Maura bemerkte die Einstichnarben an den Armen der Toten. »Tragisch.«
»Das ist es immer.«
»Wer macht die Autopsie?«
»Dr. Costas. Dr. Bristol ist heute im Gericht.« Er schob einen Rolltisch heran und begann, die Instrumente bereitzulegen.
In der beklommenen Stille wirkte das Klirren des Metalls unangenehm laut. Der Ton ihrer Unterhaltung war wie stets nüchtern und sachlich gewesen, doch heute sah Yoshima ihr nicht in die Augen. Er schien ihrem Blick auszuweichen, schien es sogar zu vermeiden, in ihre Richtung zu schauen. Und er verlor auch kein Wort über die Vorfälle auf dem Parkplatz am Abend zuvor. Doch es war nicht möglich, dem Thema einfach aus dem Weg zu gehen; unausgesprochen stand es zwischen ihnen.
»Wie ich höre, hat Detective Rizzoli Sie gestern Abend zu Hause angerufen«, sagte sie.
Yoshima hielt inne. Er wandte ihr sein Profil zu, seine Hände ruhten reglos auf dem Tablett mit den Instrumenten.
»Yoshima«, sagte sie. »Es tut mir Leid, wenn sie in irgendeiner Weise unterstellt haben sollte …«
»Wissen Sie, wie lange ich schon in diesem Institut arbeite, Dr. Isles?«, unterbrach er sie.
»Ich weiß, dass Sie schon länger hier sind als alle anderen.«
»Achtzehn Jahre. Dr. Tierney hat mich gleich nach meiner Entlassung aus der Armee hier eingestellt. Ich war dort in der so genannten ›Leichenhallen-Einheit‹. Es war nicht gerade einfach, wissen Sie, ständig mit so jungen Menschen zu tun zu haben. Die meisten waren Unfallopfer oder Selbstmörder, aber das ist nun einmal so in der Armee. Junge Männer gehen oft hohe Risiken ein. Sie schlagen sich und gehen mit dem Messer aufeinander los, sie fahren zu schnell. Oder ihre Frauen verlassen sie, und sie greifen zur Waffe und jagen sich eine Kugel durch den Kopf. Ich dachte mir, etwas kann ich immerhin für sie tun – ich kann sie mit dem Respekt behandeln, der einem Soldaten gebührt. Und manche von ihnen waren ja fast noch Kinder, kaum alt genug, um sich rasieren zu müssen. Das war das Erschütterndste an der ganzen Sache – wie jung sie waren. Aber ich bin damit klargekommen, so wie ich auch hier damit klarkomme, denn es
ist nun mal mein Job. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal krankgemeldet habe.« Er hielt inne. »Aber heute habe ich ernsthaft daran gedacht, zu Hause zu bleiben.«
»Warum?«
Er wandte sich um, und jetzt sah er sie an. »Wissen Sie, wie das ist, wenn man nach achtzehn Jahren in diesem Institut plötzlich das Gefühl haben muss, unter Verdacht zu stehen?«
»Es tut mir Leid, wenn sie Ihnen diesen Eindruck vermittelt hat. Ich weiß, sie kann ziemlich brüsk sein …«
»Nein, das war sie eigentlich gar nicht. Sie war sehr höflich, sehr freundlich. Es war die Art der Fragen, die sie mir stellte – daran habe ich erkannt, was gespielt wurde. Wie ist es, mit Dr. Isles zusammenzuarbeiten? Verstehen Sie sich gut mit ihr? « Yoshima lachte. »Also, was glauben Sie, wieso sie mich das gefragt hat?«
»Sie hat nur ihren Job gemacht, nichts weiter. Das war keine Anschuldigung.«
»So habe ich es aber empfunden.« Er ging zur Arbeitsplatte und begann, die Gläser mit Formalin zur Aufnahme der Gewebeproben aufzustellen. »Wir arbeiten jetzt schon fast
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