Schwesternmord
zwei Jahre zusammen, Dr. Isles.«
»Ja.«
»Und in dieser Zeit sind Sie – zumindest, soweit ich das beurteilen kann – nie mit meiner Leistung unzufrieden gewesen.«
»Nein, nie. Ich kenne niemanden, mit dem ich lieber zusammenarbeiten würde als mit Ihnen.«
Er wandte sich um und sah sie an. Im harten Schein des Neonlichts sah sie, wie stark sein schwarzes Haar schon mit Grau gesprenkelt war. Sie hatte ihn anfangs auf Mitte dreißig geschätzt. Mit seinem glatten Teint, seiner stets freundlichen Miene und seinem schlanken Körperbau wirkte er irgendwie alterslos. Doch jetzt, als sie die Sorgenfalten um seine Augen erblickte, sah sie, was er wirklich war: Ein
Mann, der langsam, aber sicher in die Jahre kam. Genau wie ich.
»Ich habe nicht eine Minute – nicht eine Sekunde wirklich geglaubt, dass Sie …«
»Aber jetzt müssen Sie darüber nachdenken, nicht wahr? Seit Detective Rizzoli Sie darauf gebracht hat, müssen Sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass ich es war, der Ihren Wagen mutwillig beschädigt hat. Dass ich es bin, der Sie terrorisiert.«
»Nein, Yoshima. Das muss ich nicht, und das tue ich auch nicht. Ich weigere mich ganz einfach, das zu glauben.«
Er fixierte sie unverwandt. »Dann sind Sie nicht ehrlich gegenüber sich selbst, und damit auch mir gegenüber. Denn gedacht haben müssen Sie es. Und solange auch nur ein Quäntchen Misstrauen da ist, werden Sie mir gegenüber befangen sein. Ich kann es spüren, und Sie spüren es auch.« Er streifte seine Handschuhe ab, drehte sich um und begann den Namen der Verstorbenen auf Etiketten zu schreiben. Sie konnte die Anspannung in seinen Schultern sehen, in seinen steifen Nackenmuskeln.
»Wir werden darüber hinwegkommen«, sagte sie.
»Vielleicht.«
»Nicht vielleicht. Sicher. Wir müssen schließlich zusammenarbeiten.«
Sie beobachtete ihn eine Weile und fragte sich, wie es ihr wohl gelingen könnte, das herzliche Verhältnis wiederherzustellen, das sie vor diesen Ereignissen verbunden hatte. Vielleicht ist es ja nie wirklich herzlich gewesen, dachte sie. Ich habe das einfach angenommen, während er die ganze Zeit seine wahren Gefühle vor mir verborgen hat, so wie ich die meinen verberge. Was sind wir doch für ein Paar – das Pokerface-Duo. Jede Woche bekommen wir die Opfer irgendwelcher Tragödien auf den Autopsietisch, und doch habe ich ihn noch nie weinen sehen, und er mich ebenso wenig. Wir betreiben das Geschäft des Todes so ungerührt wie zwei Fabrikarbeiter am Fließband.
Er war mit dem Etikettieren der Probenbehälter fertig, und als er sich umwandte, sah er, dass sie immer noch hinter ihm stand. »Brauchen Sie etwas Bestimmtes, Dr. Isles?«, fragte er, und nichts in seinem Tonfall oder seiner Miene verriet irgendetwas von dem, was sich soeben zwischen ihnen abgespielt hatte. Das war der Yoshima, den sie kannte, der still und effizient im Hintergrund arbeitete, jederzeit bereit, ihr zur Hand zu gehen.
Sie reagierte entsprechend. Statt einer Antwort zog sie die Röntgenaufnahmen aus dem Umschlag, den sie mitgebracht hatte, und klemmte die Filme von Nikki Wells’ Leiche an den Leuchtkasten. »Ich hoffe, dass Sie sich noch an diesen Fall erinnern«, sagte sie und schaltete das Licht ein. »Es ist fünf Jahre her. Der Fall ereignete sich in Fitchburg.«
»Wie lautet der Name?«
»Nikki Wells.«
Konzentriert betrachtete er die Aufnahme. Sein Blick fiel sofort auf das Skelett des Fetus, das die Beckenknochen der Mutter überlagerte. »Das war diese schwangere Frau, die zusammen mit ihrer Schwester ermordet wurde?«
»Sie erinnern sich also daran.«
»Beide Leichen waren verbrannt?«
»Richtig.«
»Ich erinnere mich; das war Dr. Hobarts Fall.«
»Ich habe Dr. Hobart nie kennen gelernt.«
»Nein, das ist auch kein Wunder. Er hat uns ungefähr zwei Jahre, bevor Sie hier anfingen, verlassen.«
»Wo arbeitet er jetzt? Ich würde mich gerne mit ihm unterhalten.«
»Nun, das dürfte schwierig sein. Er ist nämlich tot.«
Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Was?«
Yoshima schüttelte betrübt den Kopf. »Es war wirklich nicht leicht für Dr. Tierney. Er fühlte sich verantwortlich, dabei hatte er doch gar keine andere Wahl.«
»Was ist passiert?«
»Es gab gewisse … Probleme mit Dr. Hobart. Zuerst waren
es nur ein paar Objektträger, die ihm abhanden kamen. Dann verlegte er einige Organe, und die Familie des Verstorbenen kam dahinter. Sie haben unser Institut verklagt. Es war eine ziemliche Katastrophe, ein Desaster für
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