Schwiegertöchter (German Edition)
sie. Ich habe sie gefunden.«
Er hielt ihr die Schlüssel entgegen. Sie war völlig außer Atem und glühte. Keuchend sagte sie: »Ich danke Ihnen, vielen Dank, Sie können sich gar nicht vorstellen … ich dachte, ich hätte sie verloren, ich kann nicht telefonieren, ich hätte nicht gewusst, was ich tun soll.«
»Ich hab sie entdeckt, als ich mit dem Quad vorbeigekommen bin. Sie haben einfach auf dem Sand gelegen.« Seine Stimme hatte einen Midlandakzent und klang angenehm. »Ich dachte mir, dass sie Ihnen gehören. Ich wollte sie morgen abgeben.« Er lächelte sie an. »Ich habe Sie vorhin hier schlafen gesehen.«
Petra nickte. Sie drückte die Schlüssel an sich und sagte: »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
»Das brauchen Sie nicht.«
»Sie haben mir das Leben gerettet«, versicherte Petra.
Er zuckte mit den Schultern und sagte: »Freut mich, dass ich helfen konnte. Reiner Zufall, wirklich.«
»Ein glücklicher Zufall.«
»Sah nach einem gesunden Schlaf aus.«
Sie nickte. »Es war herrlich.«
»Gibt nichts Besseres, als an der frischen Luft zu schlafen, an der See.«
Petra blickte an ihm vorbei zum Wasser. Sie sagte: »Ich liebe die See.«
»Ich auch. Und die Seevögel.«
Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann fragte Petra noch einmal: »Wie kann ich Ihnen danken?«
»Das ist wirklich nicht nötig.«
»Ich möchte es gern.«
»Tja«, sagte er und steckte die Hände in die Taschen. »Wie wäre es mit einer kleinen Spende.«
»Ja«, sagte Petra. »Ja, das mache ich. Das würde ich gern machen. Was sage ich, wer mir geholfen hat?«
Er schaute auf seine Füße.
»Das brauchen Sie nicht.«
»Doch.«
Er zuckte mit den Schultern und musterte sie. Sie atmete jetzt wieder gleichmäßiger, das Haar war aus dem Tuch gerutscht und umrahmte ihr Gesicht.
»Ich heiße Steve.«
Sie nickte und sagte: »Ich heiße Petra.«
»Ungewöhnlicher Name.«
»Ich wohne in Aldeburgh«, sagte sie. »Und ich habe zwei kleine Jungs« – sie hielt die Schlüssel hoch –, »die ich jetzt abholen muss. Vielen Dank.« Sie machte ein paar Schritte auf den Rundweg hinter den Dünen zu. »Und wo wohnen Sie, Steve?«
Er schaute einen Moment hoch zum Himmel. Dann warf er Petra einen kurzen Blick zu. »Shingle Street«, sagte er.
Kapitel 8
Soweit Edward gehört hatte, war Ralphs Vorstellungsgespräch gut gelaufen. Was eine Erleichterung war. Tatsächlich war es sogar eine enorme Erleichterung, da Edward als Initiator des Gesprächs im Nachhinein ernsthafte Bedenken gekommen waren, wie Ralph wohl auftreten würde, und zugleich hatte er Schuldgefühle gehabt wegen seiner illoyalen Befürchtungen, sein Bruder werde ihn womöglich blamieren. Man konnte sich bei Ralph, ehrlich gesagt, keineswegs darauf verlassen, dass er sich angemessen verhielt, oder auch nur einigermaßen höflich, war alles schon vorgekommen. Er brachte es fertig, unrasiert oder im ungebügelten Hemd und in Sneakers zu erscheinen und sich zu benehmen, als würde er sich bei einer schrägen Indie Band bewerben und nicht beim Südostasien-Analyseteam einer Schweizer Bank mit besonderen Geschäftsverbindungen in die USA , die es geschafft hatte, mit sauberer Weste aus all den Turbulenzen hervorzugehen, die Edwards französisch sprechende Kollegen la crise nannten.
Aber Ralph hatte einen Anzug getragen und eine Krawatte, und die Klarheit und Schnelligkeit seines Denkens hatte den Gesprächsleiter Aidan Bennett von der Tatsache abgelenkt, dass ihm das Haar bis über den Kragenrand hing und ziemlich struppig war und dass seine Manschetten weder mit einfachen Knöpfen noch mit Manschettenknöpfen geschlossen waren. Auch hatte Ralph wohl äußerst freimütig von seinen bisherigen Unternehmungen erzählt, etwa, dass er das meiste Geld aus der Zeit in Singapur in sein Internetgeschäft gesteckt und es zum Teil durch die Kreditabsage verloren hatte, zum Teil aber auch, hatte er offen bekannt, weil seine Fähigkeiten mehr im intellektuellen und analytischen Bereich lagen und weniger im unternehmerischen. Er hatte durchblicken lassen, dass ihn Probleme reizten, dass es ihm Spaß machte, Schwierigkeiten aufzudröseln und die Ursachen dafür zu finden. Probleme, intellektuelle Probleme lagen ihm, sagte er.
»Er hat mir gefallen«, sagte Aidan zu Edward.
Edward nickte und versuchte so auszusehen, als wäre er sich dessen von vornherein sicher gewesen.
»Er würde gut ins Team passen«, sagte Aidan. »Wir könnten so einen Sudoku-Verstand gut gebrauchen.« Er
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