Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
Vom Netzwerk:
in meinem Kopf erzeugte Wellen. Ich ging zum Küchenfenster und schaute rüber zum Haus der Fineburgs.Mickeys Rollo war bis zur Hälfte nach unten gezogen. Ich hörte, wie Dora die Treppe nach oben stapfte. Sie ließ die anderen gern um ihre allwissende Anwesenheit wissen. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte.
    Ich sah, wie Vater, der vom Pendlerzug kam, unten die Einfahrt hochlief. Er hatte einen langen schwarzen Mantel an und trug eine Aktentasche, eine von denen, die man aufrecht auf einen Tisch stellen und wie ein Akkordeon auseinanderziehen konnte. Er war stolz darauf, dass seine Aktentasche fünfzehn Jahre alt war, als würde es irgendetwas über den Wert alter Dinge aussagen, wenn man an ihnen festhielt.
    Â«Alle da», sagte ich, sowie er zur Tür hereinkam.
    Â«Wie geht es deiner Mutter?»
    Â«Ist in ihrer Schlaufe.»
    Er ging zum Garderobenschrank und hängte seine Jacke auf.
    Â«Mrs Kunitz ist oben», sagte Dora, die plötzlich im Flur auftauchte. «Sie muss sich operieren lassen. Da bin ich mir sicher.»
    Â«Irene!», rief Vater die Treppe hinauf.
    Â«Mrs Kunitz kann nicht sprechen. Sie ist in ihrer Schlaufe. Sie müssen nach oben gehen.»
    Â«Gottverdammich!», sagte Vater und lief polternd die Treppe hinauf.
    Â«Worauf starrst du denn da die ganze Zeit?», fragte Dora. «Geh dir die Hände waschen. Hol deine Brüder. Gleich gibt’s Essen.»
    ~~~~~~~~~~~
    Wir nahmen unsere Plätze ein und sahen zu, wie unsere Eltern langsam die Treppe herunter kamen. Mutter bewegte sich wie eine alte, verkrüppelte Frau, die sich anstrengte, aufrecht zu gehen, während Vater ihren Ellbogen stützte und sie nach unten geleitete.
    Â«Ich glaube, die Schlinge macht es noch schlimmer, Mom», sagte Peter.
    Vater führte Mutter zu ihrem Stuhl und half ihr, sich zu setzen.
    Â«Deine Mutter hat ein übermäßig starkes Schmerzempfinden.» Er schaute entschuldigend, als wäre er irgendwie mitverantwortlich für die Schmerzen in ihrem Nacken.
    Dann kam Dora wie aufs Stichwort hereinmarschiert und servierte das Essen. Sie legte Vater fünf Hähnchenflügel auf den Teller, Peter bekam vier und ich drei.
    Â«Ich möchte noch einen», sagte ich.
    Â«Iss erst mal das, was du auf dem Teller hast, dann kannst du noch mehr haben. Und denk an das Wörtchen
bitte.»
    Ich verzog das Gesicht. Ich wusste nicht, ob sie mich hasste, weil wir Geld hatten, oder ob sie mich einfach so hasste. Ich schaute hilfesuchend zu Mutter hinüber.
    Â«Lass gut sein, Sarah», sagte sie. «Du kannst später immer noch mehr haben.»

5. Kapitel
Erwachsene
    Ich fragte mich, was Mutter dort im Krankenhaus wohl durch den Kopf ging. Morgen früh würde der Chirurg ihre Wirbelsäule wieder in Ordnung bringen. Hatte sie Angst? Freute sie sich auf ein neues Leben nach der Operation? Ich war mit den Hausaufgaben und dem Klavierüben fertig. Nach dem Duschen legte ich mich hin, konnte aber nicht einschlafen. Also ging ich in meinem Flanellnachthemd nach unten und zwängte mich in Vaters Arbeitszimmer in die Lücke zwischen Bücherregal und Fenster. Er korrigierte die Arbeiten seiner Studenten.
    Â«Der Arzt meint, in vier Tagen ist sie wieder zu Hause. In zwölf Stunden haben wir das alles hinter uns», sagte Vater.
    Â«Ich kann es kaum erwarten. Ich hoffe, dass es ihr hilft.»
    Â«Ich auch, Kleines.» Er nahm die Lesebrille ab.
    Ich schaute aus dem Fenster, vor dem der Kirschbaum wuchs. Nachts im Dunkeln sahen die Zweige aus, als litten sie an Arthritis.
    Â«Woran sitzt du?»
    Â«An einer Liebesgeschichte.» Er hielt mir eine Taschenbuchausgabe von
König Lear
hin. «Der König hat drei Töchter. Er möchte, dass jede der drei ihm ihre Liebe beweist. Stell dir das mal vor. Wie beweist man Liebe?Indem man einen Berg besteigt? Sich in Lebensgefahr bringt?» Er war jetzt aufgestanden und lief auf und ab, erst auf mich zu, dann zurück zum Schreibtisch.
    Â«Wenn man arbeitet, muss man den eigenen Wert unter Beweis stellen. Ach, Prinzessin, ganz egal, was du später im Leben mal machst, du musst immer etwas beweisen. Wie also macht man das?» Er wartete nicht, bis ich antwortete. «Also es kommt darauf an. Manchmal muss man bestimmte Dinge tun, um den König oder gegebenenfalls den Chef zufriedenzustellen. In meinem Fall ist derjenige, der zufriedengestellt werden muss, der Institutsleiter.»
    Â«Ein

Weitere Kostenlose Bücher