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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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Aber nichts war süßer und vertrauter.
If I had a hammer –
    Die Metallsaiten schenkten dem Weaver’s-Folk-Song einen wunderschönen, runden Klang. Peter griff kräftiger in die Saiten und unsere Harmonien fügten sichzu einem
«I’d hammer out love –»
zusammen, bis unsere Stimmen und Peters Gitarrenklang weit oben in den Bäumen ein Versteck schufen, unerreichbar für alle, solange ich sang, und meine Lunge von den tiefen Atemzügen und Melodien und unsichtbaren Flügeln vibrierte. Alles, was sich in den Etagen unter mir abspielte, verlor an Bedeutung. Keiner störte uns. Keiner kam hinauf, um mir zu sagen, ich solle aufhören.
    ~~~~~~~~~~~
    Einige Tage nach dem Vorfall mit dem Officer bekam Mutter leichte Beschwerden in der Schulter. Der Schmerz wanderte links den Hals hinauf, in den Arm hinunter und weiter, bis er ganz von ihr Besitz genommen hatte. Ihr Hausarzt erhöhte die Tablettendosis, um den Schmerz zu lindern. Dreimal täglich nahm sie grüne Kapseln: eine morgens mit ihrem Kaffee, eine vor dem Abendessen und eine vor dem Zubettgehen. Anfangs wirkten die Tabletten. Ihr schmallippiges Lächeln wurde weicher. Aber dann kam der Schmerz noch stärker zurück als vorher. Nach der Schule fand ich sie mehrmals auf dem Wohnzimmersofa vor, in der einen Hand einen Drink, die andere hing auf den Boden.
    Â«Kann ich etwas für dich tun?»
    Â«Nein, Liebes. Wie war’s in der Schule? Hast du viele Hausaufgaben?»
    Hausaufgaben waren nicht das Problem. Ich war eine Einserschülerin. Das wusste sie.
    Â«Nicht mehr als sonst.»
    Ich wartete, dass sie noch etwas anderes sagen würde,aber sie war halb eingeschlafen. Dann versuchte sie aufzustehen. Ich gab ihr meine Hand und half ihr, sich aufzurichten.
    Â«Ich bin in einem schrecklichen Zustand, nicht wahr?» Sie schüttelte den Kopf und sah mich an. Ich schaute zu Boden. Ihr flehender Blick ließ mir keinen Ausweg, so, als hätte ich mich in einem Spinnennetz verheddert.
    Steroid-Injektionen halfen zeitweilig, den Schmerz zu mildern, aber jedes Mal kehrte er umso heftiger zurück. Sie konnte sich nicht mehr bücken, um Elliot die Schuhe zuzubinden. Dafür war jetzt ich zuständig, auch dafür, Elliot vor der Schule anzuziehen, es sei denn, Dora griff ein, was sie oft tat, wobei sie uns später dann alle mit Buttertoasts in den Händen aus der Küche jagte. «Raus mit euch. Alle zusammen. Dass mir keiner von euch zu spät zur Schule kommt. Los geht’s!»
    Mutter konsultierte einen Arzt nach dem anderen, nahm Tabletten und probierte verschiedene Übungen aus. Nichts half.
    Â«Sie werden dich operieren müssen», sagte Vater.
    Sie trug eine Halskrause. Es war längst normal geworden, sie oben im Schlafzimmer auf einem Stuhl mit gerader Lehne in einer Art Seil-Band-Vorrichtung anzutreffen, die Schlaufe unter dem Kinn. Das Seil führte über die Tür auf die andere Seite, wo es von einem Sandsack nach unten gezogen wurde. Theoretisch sollte diese Schlaufe die Wirbelsäule entlasten, womit der Schmerz in ihrem Nacken zusammenhing. Wenn sie in dieser Vorrichtung saß, stemmte sie sich gegen die Rückenlehne und sprach durch die Zähne.
    Heute stand ich vor ihr und betrachtete das Seil und den Flaschenzug.
    Â«Was machst du, wenn das nicht hilft? Lässt du dich dann operieren?»
    Â«So langsam gehen mir die Alternativen aus. Sag Dora, sie soll mir einen Drink bringen», sagte sie. «Denk an den Strohhalm.»
    ~~~~~~~~~~~
    Ich ging nach unten, um Dora zu suchen. Das Zimmer, so wie es mal Luanne gehörte hatte und ein bisschen auch mir, gab es nicht mehr. Anders als Luanne, die das Fenster mit einem Tuch verhängt hatte, ließ Dora die Fensterläden weit geöffnet, damit das Sonnenlicht hereinkam. Die Kommode war makellos sauber und roch nach Limonenwachs; der graue Linoleumboden glänzte wie poliertes Silber.
    Ich klopfte an. Mit einem Ruck ging die Tür auf, und die wuchtige Dora türmte sich vor mir auf. Ihre massige Gestalt warf einen langen Schatten.
    Â«Was gibt’s, Sarah? Bis zum Abendessen sind es noch fünfzehn Minuten.»
    Â«Mutter möchte ihren Drink oben einnehmen.»
    Dora nickte, schaute mich aber missbilligend an.
    Â«Was ist?», fragte ich.
    Â«Mit Geld kann man nicht alles lösen», sagte sie und ging ins Wohnzimmer, um den Drink zu machen.
    Habe ich das etwa behauptet?
Die stille Stimme

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