Schwimmen in der Nacht
Persönlichkeit und ein eigenes Temperament.»
Vielleicht beweinte sie ihren Garten in dieser Jahreszeit. Die Blumenkelche braun verfärbt, die Blütenblätter faltig wie die Gesichter alter Leute. Der Geruch nach Mulch und die beschrifteten und aneinandergereihten Dosen und Eimer mit den verschiedenen Mischungen in der Garage, diese bitteren Gerüche waren alles, was bis zum nächsten Frühling übrig geblieben war.
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Die Bruderschaft in ihren schwarzen Mänteln verteilte die Gebetsblätter. Der Rabbi sprach davon, dass geliebte Menschen im Geist und in der Erinnerung weiterleben. Der Kantor sang auf Hebräisch. Dann gingen die Männer vom Friedhof zum Sarg hinüber und lieÃen ihn langsam in die Grube hinab.
Ich zog die Wagentür zu und schaute durchs Fenster. Der Rabbi ging auf Vater zu und reichte ihm die Schaufel. Vater stieà sie in die aufgeschüttete Erde, stellte sich dann an den Rand der Grube und lieà die Erde hinabfallen. Er verlor wieder die Fassung und wimmerte. Peter legte Vater den Arm um, der sich krümmte und das Gesichtschluchzend in den Händen vergrub. Max nahm die Schaufel und belud sie mit Erde, dunkel und krümelig wie eingefrorener Schokoladenkuchen. Er schmiss sie in die Grube, und dann brach auch er weinend zusammen, den Blick auf GroÃvaters Grabstein gerichtet, dessen Grab sich auf derselben Friedhofsparzelle befand. Annette ging zu ihm und fasste ihn am Arm. Dann gab der Rabbi Peter die Schaufel.
Mein Bruder ging zu dem Erdhaufen und steckte die Schaufel tief in die Mitte, machte sie randvoll. Er stellte sich an den Rand der Grube und drehte die Schaufel um. Als die Hälfte am Metall kleben blieb, schüttelte er die Schaufel auf einmal wie von Sinnen, damit die Erde abfiel. Der Rabbi trat zu ihm hin und nahm ihm sanft die Schaufel aus der Hand. Bei Elliot hielt er den Stiel mit fest und half ihm, einen kleinen Klumpen über die Kante zu schieben.
Die Anwesenden stellten sich hintereinander in einer Reihe vor dem Erdhaufen auf und nahmen einer nach dem anderen die Schaufel. Ich konnte mir Mutter da drinnen nicht vorstellen. Ich sah, wie sie über uns schwebte, leicht im Wind flatterte, langgestreckt und seiden wie ein Tuch, das sich über den ganzen Friedhof aufspannte. In der Ferne ballten sich ein paar graue Wolken zu einer einzigen groÃen zusammen. Ich hätte mich ihnen gern angeschlossen, als sie auf den Horizont zutrieben, um herauszufinden, wohin sie gegangen war.
11. Kapitel
Schivâa
Die einwöchige
Schivâa
und der Empfang der Trauergäste fanden im Haus meiner Tante Annette statt. Vater wollte nicht nach Hause zurück. Er sagte, er wäre so weit, unser Haus auf ein Floà zu setzen und aufs Meer hinauszustoÃen.
Der Rabbi stand im Wohnzimmer meiner Tante und leitete die Gebete an. Die Zeit trat mir auf die FüÃe. Ganz gleich, wo ich stand, ob in einer Ecke im Esszimmer, an der Garderobe drauÃen im Flur oder bei der groÃen Kaffeemaschine im Wohnzimmer, die Zeit trieb mich voran. Als der Abend schon nicht mehr jung war, hing der Zigarettenrauch im Zimmer schon bis auf Schulterhöhe und absorbierte sämtliche Essensgerüche â Bagel mit Räucherlachs, Kuchen und schüsselweise Kekse. Irgendwo stand eine riesige Servierplatte mit einem von Gabeln und Löffeln massakrierten Thunfisch.
Vater saà auf einem Sofa im Wohnzimmer, um das sich verschiedene Leute drängten. Manche beugten sich zu ihm hinab und umarmten ihn. Andere knieten sich für längere Gespräche hin. Die meiste Zeit weinte er, stöhnte, oder er schrie plötzlich auf, was, ähnlich wie bei einer Sirene in einem Stau, alles erstarren lieÃ. Mit einem Mal brachen die Gespräche ab. Dann setzten die Geräusche im Zimmer langsam wieder ein. Viele Leute, vor allem die Männer, kamen auf mich zu und tätschelten mir denKopf, als wäre ich ein SchoÃhund, der nicht gelernt hatte zu bellen. Die Frauen, mütterliche Fremde, blieben vor mir stehen und strichen mir die Haare hinter die Ohren, als ob solch einfache Gesten den Schmerz erträglicher machen, ihn aus dem Weg räumen könnten.
Schubweise, wie Wellen, trafen die Menschen ein. Jedes Mal, wenn die Haustür aufging, wurde ich von einem Strom kalter, stiller Luft erfasst.
Am zweiten Abend kamen Nachbarn vorbei. Die Fineburgs von nebenan. Mickey. Wie schweigsame Bäume, wie Organismen, die sich dasselbe
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