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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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selben Krankenhaus, in dem Mutter gestorben war. Onkel Max hatte Angst, dass wir verklagt werden könnten. Ich hasste ihn noch mehr als an dem Tag, an dem er mich als Aktmodell gewollt hatte.
    Â«Soll er doch klagen», sagte Vater niedergedrückt. «Von mir kriegt er nichts.»
    Am Morgen der Beerdigung, einem Tag voller elefantengrauer Wolken, stand ich in einem kleinen Empfangszimmer des Beerdigungsinstituts Reuben, einem schummrigen Abschiedsraum, und hockte in dem kalten nebligen Loch, auf das das Leben zusammenschrumpft, wenn die eigene Mutter stirbt. Tante Annette fand, Elliot und Robert seien zu jung, um dabei zu sein. Vater war anderer Meinung, und zum ersten Mal war ich ihm dankbar. Es war unsere Mutter, nicht ihre.
    Â«Ich glaube, das überfordert die Kinder», sagte sie.
    Â«Sie ist nicht dein Eigentum», herrschte ich sie an.
    Die Orgelmusik in dem anderen Raum schwoll an, ein wehleidiger, aber kühler, anhaltender Sirenenton erfüllte die Luft, als hätte man den Finger des Orgelspielers auf der Taste festgeklebt. Es klang hässlich und rau. Ein Mitarbeiter des Bestattungsinstituts in einem schwarzen Anzug kam zu mir und sagte, die Trauerzeremonie werde gleich beginnen.
    Â«Sarah. Es ist soweit. Du sitzt vorn neben deinem Vater. Geh hinter Peter her.»
    Der kühle Luftzug aus dem größeren Raum zog mich zum Eingang. Gerade verließ Vater den Raum, das Gesicht nass von Tränen. Er war an der Seite von Hamlet und Lear in seiner eigenen Welt des Leidens verschwunden, und er verteidigte seine Trauer, als verfüge Gott nur über einen begrenzten Vorrat davon, den er verteilen könnte. Aber Vater irrte sich. Er konnte nicht sehen, dass Gott eine unversiegbare Quelle besaß, und die Trauer ausdieser Quelle strömte nun durch Peter und mich und durch meine jüngeren Brüder.
    Die Orgeltöne kletterten höher, wurden noch aufdringlicher und unfreundlicher. Als ich den Raum betrat, hörte ich das
Pst!
von Fremden und blickte auf meine Füße. Nichts ist schlimmer als das Mitleid anderer. Es war, als ob dieser Konsens unter Erwachsenen, mich zu bemitleiden, ein Weg war, sich selbst darüber zu erheben, indem sie mich an die Anzeigetafel nagelten. Jeder Versuch, normal zu wirken, wurde davon zunichte gemacht. Ich zog mir den Hutschleier vors Gesicht, drehte mich zum Altar und sah Mutters Sarg, bedeckt mit weißen Rosen. Ich schaute weg. Mein Magen zog sich zusammen, und ich kämpfte gegen den Impuls, mich zu übergeben.
    Als ich in der Bank saß, drückte mir einer der Männer vom Bestattungsunternehmen ein Blatt mit dem Ablauf in die Hand. Vater gab wieder einen Klagelaut von sich, und ich fühlte, wie die anderen daraufhin erschauderten. Die Leute meinen, Kinder könnten mit Augenblicken wie diesem nicht umgehen, aber genau die Kinder – nicht die Erwachsenen – sind es, die auf die Gegenwart des Todes angemessen reagieren. Als die Übelkeit nachließ, saß ich still wie eine in der Erde vergrabene Tulpenzwiebel. Wie ich da in meiner dunklen Grube saß, bat ich Mutter, einfach nur bei mir zu bleiben, betete dafür.
Bleib hier bei mir, ganz nah. Noch näher.
    Ich strengte mich sehr an, ihre schwache, kluge Stimme zu hören. Hörte sie aber nicht. Vielleicht versuchte sie noch immer, wieder Luft holen zu können. Jeder, der von einem Möbelwagen überfahren und getötet wird, brauchtZeit, um sich wieder zu erholen. Ausgelöscht schwamm sie mit kräftigen Zügen durch ein anderes Universum und kämpfte sich an die Oberfläche. Das war das genaue Gegenteil von ihrem Leben auf der Erde, wo sie im Country Club nie geschwommen, sondern nur bis zu den Oberschenkeln ins Wasser gewatet war, um sich die Haare nicht nass zu machen. Vielleicht würde sie wieder anfangen, Geige zu spielen. Ihre Finger wären nicht länger verkrüppelt; ihr Rücken würde nicht mehr schmerzen.
    ~~~~~~~~~~~
    Auf der Bühne nahm Rabbi Meyers seinen Platz am Podium ein und begann zu beten. Wieder ertönte die Orgel und drängte die Gäste, leise mit einzustimmen. Ich ließ mein Gebetbuch unangetastet. Der Rabbi bat alle aufzustehen. Von hinten hörte ich wieder unterdrücktes Schluchzen. Ich rettete mich in einen Traum,
ließ mich den Korridor in der Schule entlangtreiben. Ich ging allein zum Kunstraum im Untergeschoss. Das Licht war dort gedämpft, der Boden aus einem härteren Material, Beton.

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