Schwimmen in der Nacht
wäre.
Ich schüttelte den Kopf.
«Ich mein, ich trinke Alkohol. Bier und so was», sagte sie. Sie drehte wieder am Radioknopf und lehnte sich so weit zurück in den Sitz, dass ihre Zehen an den oberen Rand des Gaspedals tippten, wie eine Ballerina in Spitzenschuhen.
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Stonehill wirkte auf den ersten Blick vornehm und gesittet. Der Hauptcampus bestand aus einer Ansammlung weiÃer Schindelgebäude mit grünen Fensterläden â ganz klassisch Neuengland â, die sich an einen Hang schmiegten, der in Felder am Waldrand und flaches Sumpfland überging. Die Sommerschüler waren in den neueren schlichteren Wohnheimen aus Backstein einquartiert, die man vom Zentralhof aus hügelabwärtserreichte. Zum Campusgelände gehörten Tennisplätze, ein Fotostudio und zwei FuÃballplätze.
Betsy parkte auf einem Rasenstück und lieà mich aussteigen, damit ich mich auf den Weg zum Speisesaal machen konnte, wo fünfundsiebzig Schüler zusammengedrängt auf die Einführung warteten. Der verglaste Saal roch nach sonnenwarmen lackierten Tischen und Stühlen. Der Holzboden glänzte von frischem Wachs.
Eine Frau mit kurzen Haaren und in Kostüm begrüÃte mich am Eingang. Sie fischte mein Namensschild aus ihrer Mappe. Jedem Schild war eine Tischnummer zugeordnet. Ich saà an Tisch Nummer sechs, neben einem Jungen namens Gregory Brown. Sein dunkler Bart lieà ihn älter aussehen. Er war schlaksig, sein Hemd schlackerte um seinen Oberkörper. Er trug ein weiÃes, bis zu den Ellbogen hochgekrempeltes Hemd, das noch mehr dunkle Haare zeigte. Das Hemd hing ihm locker über die abgetragene Jeans.
Statt Hallo zu sagen, teilte er mir umgehend mit, dass er in Französisch durchgerasselt war und deshalb sein Vater, ein Anwalt, darauf bestanden hatte, dass er nach Stonehill ging. Gregory war aus Scarsdale, New York.
«Derzeit bin ich für meinen Vater nur ein Flop, aber das könnte sich ändern.» Er zwinkerte mir zu, als er das sagte, was ihn sofort in einem anderen Licht erscheinen lieÃ. Seine Stimme war freundlich und hell wie der Klang einer Klarinette, gut gestimmt, aber nicht aufdringlich. Er lächelte versonnen, als könnte er die Horrorvorstellung eines Sommers an dieser schicken Neuengland-Privatschule nur allein dadurch ertragen, dass er ihr begegnete wie allem anderen in seinem Leben: mit einerPortion Ironie. In Kontrast zu seinem Bart sahen seine Lippen wie von der Sonne verbrannt aus.
«Fremdsprachen sind einfach nicht meine Stärke. Das kann auch den Besten mal passieren.»
«Wenn du willst, kann ich dir helfen», sagte ich.
«Abgemacht. Du kannst gleich damit anfangen.» Wieder lächelte er auf diese verlockende Art, sein Blick war durchdringend und verträumt zugleich.
«Bist du auch in irgendwas durchgefallen?»
«Nein.»
Mrs Corey, die Frau vom Eingang, stellte sich als Direktorin vor. Sie hatte ein strenges Gesicht und eine hohe Stirn.
«Haltet euch an die Regeln und euer Aufenthalt hier wird für alle Beteiligten zu einer angenehmen Erfahrung werden. Es gibt immer ein oder zwei, die das nicht tun, und denjenigen kann ich jetzt schon mal drastische Konsequenzen versprechen. Wenn ihr Fragen oder Probleme habt, dann bin ich da, um sie mit euch zu klären. Ich wünsche euch ein gutes Semester. Lernt fleiÃig.» Sie lächelte, aber das passte nicht zu ihr. Sie bedeutete uns mit einer Geste, dass wir uns auf den Weg zur ersten Stunde machen sollten.
Es stellte sich heraus, dass Gregory und ich die einzigen Schüler waren, die den Französischkurs für Fortgeschrittene belegt hatten, weshalb man uns beide wohl auch an Tisch Nummer sechs gesetzt hatte. Im Klassenzimmer, einem Raum mit kleinen Fenstern und staubigem HolzfuÃboden, saÃen wir an einem langen Holztisch neben Madam Fallon, die zunächst den Eindruck machte, als sei sie alt genug für den Ruhestand, deren lebhafte Augenund energiegeladene Persönlichkeit ihr Alter jedoch vergessen lieÃen. Sie trug einen langen Faltenrock und eine rosafarbene Bluse mit rundem Ausschnitt. Ihr Parfüm roch leicht nach Mottenkugeln und Honig.
Der Kurs ging den ganzen Morgen. Gregory und ich lasen abwechselnd laut aus einem Lehrbuch vor. Gregorys Aussprache war weich, oft murmelte er, was Madame Fallon dazu veranlasste, sich hinter ihn zu stellen und seine breiten, knochigen Schultern geradezudrücken. Oft bat sie
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