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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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Hause gebracht hatte, in Ruhe.
    Alle Eltern waren da. Die Aula war brechend voll und hallte wider von den Stimmen aller Schüler an dieser Highschool; fast dreitausend Menschen wärmten den Saal. Das Licht wurde zweimal gedämpft.
    Als es wieder erstrahlte, entdeckte ich genau in der Mitte Vater, rechts und links neben ihm saßen Elliot und Robert. Robert hatte die Nase natürlich in eins seiner Bücher über Zeitreisen gesteckt. Er war jetzt bei Band elf. Der Buchreihe zufolge war elf eine Superzahl, deren Vibrationen die Seele für eine andere Dimension öffneten, ein Paralleluniversum, wo Menschen lebten wie wir, nur anders, ohne den Lärm und die Störungen. Wenn ich mir vorstellte, in dieser anderen Welt zu leben, sah ich unser Haus in einem immerwährenden Frühling mit Mutters blühenden Rosen vor mir, und mein Zimmer war erfüllt vom Geruch nach Koriander des koreanischen Gewürzstrauchs. Das Tageslicht wäre satt wie eine Wiese voller Löwenzahnblüten. Die Sonne, die es nie eilig hätte, würde im frühen Sommer am Horizont schweben. Von allen Bänden dieser Science-Fiction-Reihe, die Robert gelesen hatte, faszinierte mich dieser am meisten. Die Vorstellung, etwas so Abstraktes wie eine Zahl könne einen in eine andere Welt befördern, war etwas, woran ich glauben wollte. Ich kannte die Macht von Klängen, den physikalischen Vorgang, wie ein Ton vibrierte und das Gehirn vor Freude flimmern ließ. Musik trug michan andere Orte. Vielleicht vermochten Zahlen bei Robert etwas ganz Ähnliches.
    Elliot winkte mir. Ich nickte ihm von meinem Platz in der zweiten Reihe bei den Sopranstimmen aus zu. Hinter mir stand Sophie. Peter würde auch auftreten: ein paar Bob-Dylan-Songs gegen Ende des Konzerts. Mr Bingham eröffnete das Programm mit drei Kunstliedern. Dann wurde das Licht wieder gedämpft, es wurde dunkel und still in der Aula. Jetzt ging’s los. Alle Augen der Chorsänger ruhten auf Mr Edwards, der lächelte und seinen Dirigentenstab hob. Eine Bewegung seines Ellbogens reichte aus und schon legten wir mit einem lebhaften «Everything’s Coming Up Roses» aus dem Musical
Gypsy
los.
    Wir sangen ein Lied nach dem anderen unseres Medleys. Meine Aufregung legte sich, und ich war hochkonzentriert. Als «Aquarius» leise einsetzte, sah Mr Edwards mich an und hob die Augenbrauen: Sarah, bist du bereit? Das Orchester setzte mit dem Intro ein, eine Wiederholung des Hauptmotivs in verschiedenen Variationen, wurde dann langsamer und steuerte auf meinen Einsatz zu. Ich atmete tief ein und begann zu singen.
    Leise und klar begann ich mit
«when the moon is in the seventh house»,
stellte den ganzen Schmerz und das Versprechen dieses Satzes heraus, während er den Hohlraum füllte, zu dem meine Brust geworden war. Jede Faser in mir strebte, wie eine Pflanze zur Sonne, zum Crescendo in der Musik hinauf. Ich hob das Kinn an, blickte über die Köpfe des Publikums hinweg auf die roten Leuchten für die Notausgänge am hintersten Ende. Der Chor setzte ein, fügte der Melodie weitere Schichtenhinzu, wie sich kräuselnde Segel, die mir antworteten. Ich setzte wieder ein, führte die Flotte, sang immer etwas heller als die Chorstimme, blieb auf meinem Höhenflug. Als ich bei der letzten Zeile der ersten Strophe angelangt war,
and love – will steer the stars
–, war ich schon abgeschwirrt, raus aus der Aula, als würde ich in einem Heißluftballon über hohe Baumkronen fahren und der Chor wie Blätter unter mir rascheln. Alle gemeinsam sangen wir:
«This is the dawning of the Age of Aquarius.»
    Ich stand jetzt kerzengerade, breitete die Arme aus, öffnete mein Herz. Genau jetzt, in diesem Augenblick, da ich sang, besiegte ich meine Schatten und Geister. Ich vergaß Anthony und Giselle. Vaters Gesicht zuckte von einem neuen Weinkrampf, aber ich registrierte das als Reinheit seines Gefühls, als seine von diesem Lied verkörperten, verlorenen Wünsche. Als ich zur letzten Strophe kam und der Chor noch einmal den feierlichen Ruf
«this ist the dawning of the Age of Aquarius»
anstimmte, führten wir das Lied zu seinem prachtvollen Finale. Mr Edwards hob den Arm und stieß die Faust in die Luft, und die Leute in der ersten Reihe sprangen wild applaudierend auf, dann auch die in den Reihen dahinter, und immer mehr Leute jubelten vor Begeisterung, ein ganzer Saal tobte im Taumel dieser

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