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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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meinen zwei jüngeren Brüdern saß ich aufrechter, mein Körper war nicht länger der eines Kindes. Dora wirbelte um sie herum, bestand darauf, dass sie was aßen, drängte sie, auszutrinken und versprach ihnen Eis zumNachtisch, wenn sie auf sie hörten. Aber am Küchentresen änderten sich die Benimmregeln. Robert las beim Essen. Seine Serie hatte er ausgelesen und schon wieder mit einer neuen begonnen. All seine Fantasy-Bücher kamen immer gleich in Serien von drei oder mehr Bänden daher, als wollten sie das Ende hinauszögern. Elliot hantierte mit einer Handvoll kleiner Spielzeugpferde, baute sie neben seinem Teller auf und redete mit ihnen. Ich versuchte, mitzuhören, was er sagte, kam aber kaum mit. Es war, als wäre er mitten in einem länger andauernden Gespräch. Also löste ich Kreuzworträtsel.
    Nach dem Abendessen ging ich hoch in Peters Zimmer, um Platten zu hören und mitzusingen. Ich ließ immer wieder Joni Mitchells «Blue», Jimi Hendrix’ «Crosstown Traffic» und Laura Nyros «Timer» laufen. Peter fehlte mir. Diese Melodien, die ich in- und auswendig kannte, weil wir sie an so vielen Abenden gemeinsam gehört hatten, brachten ihn zurück, machten seine Gegenwart spürbar. Manchmal fühlte sich mein Zuhause an wie eine aufgeplatzte Blase.
    Â«Mir gefällt das Lied über Eiscreme», sagte Elliot, der im Türrahmen stand.
    Â«Komm, setz dich», sagte ich.
«And ice cream castles in the air –»
    Ich sang Joni Mitchells Zeilen noch einmal, und er kam rein und ging zum Plattenspieler, blieb dort stehen, als ob mein Gesang Peter auch in seine Welt zurückbringen könnte.
    Â«Wann kommt Peter nach Hause?»
    Â«Vielleicht, wenn der Sommer vorbei ist, keine Ahnung.»
    Heute Abend sah er älter aus, nicht mehr so introvertiert. Vielleicht war er ein wenig gewachsen. Ich wusste, dass seine Frage darauf zielte, warum Peter uns verlassen hatte. Wahrscheinlich fragte er sich, ob als nächstes ich fortging.
    Â«Peter ist älter. Alle seine Freunde sind diesen Sommer irgendwohin gegangen.»
    Â«Ich weiß. Wenn ich groß bin, will ich nach Australien.»
    Ich lachte. «Das ist weit weg. Du würdest mir fehlen.»
    Â«Du kommst mich dann einfach besuchen.»
    Â«Okay. Das mach ich.» Ich zog ihn an mich und nahm ihn in die Arme.
    Â«Ich glaube, es wird ihr gut gehen mit Dad. Sherry ist nett», sagte er.
    Â«Sie ist in Ordnung.»
    Sein Weitblick brachte mich einmal mehr völlig aus dem Gleichgewicht. Elliot verstand; er verstand, dass Sherry sein Leben sicher mehr prägen würde als meins. Aber in mir zog sich alles zusammen, als er das sagte, und ich wandte mich zum Plattenspieler, um die Platte umzudrehen, die zu Ende war.
    Â«Willst du das noch mal hören?», fragte ich ihn. Ich hielt die Nadel über das Vinyl und ließ sie herab, bis der Diamantnadelkopf auf die breite, spiralförmige Rille traf.
    ~~~~~~~~~~~
    Später lag ich im Bett und dachte an Gregory und wie er mich berührt hatte. Mein Zimmer verwandelte sich in eine Waldschlucht. Ich konnte an nichts anderesmehr denken. Ich rieb die Stelle zwischen meinen Beinen so, wie er es getan hatte, bis das fließende Gefühl in meinem Kopf wiederkehrte und die Empfindung, in einen warmen Pool zu tauchen, meine Brust ausfüllte. Es wurde still im Haus, und es blieb still. Doras Fernseher wurde ausgeschaltet. Das Spülprogramm war durchgelaufen. Ich wartete nicht länger, dass Vater nach Hause kam.
    Am nächsten Morgen stand Vater wieder zerstreut über das Spülbecken gebeugt, lutschte an Orangenstückchen und spuckte die Kerne ins Becken. Dora bewegte sich phlegmatisch durch die Küche, muskulös schritt sie zwischen Kühlschrank, Spüle und Tresen ein Dreieck auf dem Linoleumboden ab. Sie wickelte Lunchbrote für meine Brüder ein; drehte am Herd die Gasflamme kleiner, damit Vaters Kaffee nicht überlief. Sie wirkte unruhig.
    Als sie bei uns anfing, fand ich sie hässlich und dick, aber mittlerweile wusste ich es besser. Sie war zäh und unerschütterlich; und was noch viel wichtiger war, sie sorgte sich um uns.
    Â«Hast du alles?», fragte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Sie drehte sich vom Herd weg und wartete, dass ich antwortete.
    Â«Ja, wir sehen uns dann heute Abend, richtig?» Betsy hupte zweimal draußen vorm Haus. Ich schnappte mir meine

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