Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
Vom Netzwerk:
an den Boden gedrückt. Ich erklomm den kleinen Hügel und ging über den Innenhof, wo die Schüler rumhingen, entweder auf den Bänken oder zu zweit in den dunkleren Schatten der Bäume. Ich kannte alle Gesichter, aber nur wenige der anderen beim Namen. Am Ende des Schultages ging ich zum Parkplatz zurück und wartete beim Thunderbird, bis Betsy zwischen den wieein Kreuzworträtsel geparkten Autos angeschlendert kam und lässig einen neuen Stapel Fotos auf die Rückbank schmiss.
    ~~~~~~~~~~~
    Am schwersten waren die Wochenenden. Die Tagesschüler blieben zu Hause, während die Internatsschüler Ausflüge machten. Ich hatte zu Gregory gesagt, er solle mich nicht zu Hause anrufen. Ich wollte nicht, dass Vater oder Dora irgendwelche Fragen stellten. Ich wollte keine Verbindung zwischen Gregory und meinem alten Leben. Ich wollte mich nicht erklären müssen oder das Eden zerstören, das wir uns geschaffen hatten. Mutter erwähnte ich nie. Ich wollte nur die Gegenwart, alles, wie es war, keine Sorgen, keine Dunkelheit und Unklarheit. Keine Vergangenheit.
    Samstagmorgens ging ich immer in die Bibliothek von Soquaset oder in den Musikladen, wo ich von meinem wöchentlichen Taschengeld Top-40-Singles und Noten kaufte. Ich lernte Lieder von den Byrds, Neil Young, Carole King, Simon and Garfunkel und The Doors auswendig. Ich kaufte meterweise günstigen Baumwollstoff mit Blumenmuster und nähte knöchellange Röcke für Gregory, unter die er seine Hand schieben konnte.
    Ich nähte in der angenehmen Kühle im Untergeschoss, trat das Pedal der einfachen Singer-Nähmaschine. Vater war noch immer nicht wieder nach oben gezogen. Tagsüber gab er Sommerkurse. Abends war er in sich gekehrt, trank große Gläser Wodka mit Zitrone und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück, wo er Frank Sinatraund Tony Bennett auflegte. Er hörte immer und immer wieder dieselben Lieder. Oder er war mit Miss Delgarno unterwegs. Ich hörte auf, Klavier zu üben, und sang lieber vor unsichtbarem Publikum in Peters Zimmer oder vor Elliot oder auch im Sumpfgebiet vor Gregory.
    Peter schrieb und erzählte, dass Kalifornien der absolute Traum sei. Berge. Der Pazifik. Seelöwen, die in Felsenhöhlen in San Diego faulenzten. «Ich gehöre hierher. Schreibe Lieder, gebe Straßenkonzerte. Ich liebe euch. Peter.»
    Wegen Gregory merkte ich gar nicht, wie schnell die Wochen vergingen, bis dann die letzte kam und Vater an meinem letzten Tag in Stonehill sagte, ich könne dort übernachten. Die Direktorin gab mir ein freies Zimmer. Eine der Internatsschülerinnen war früher nach Hause gefahren.
    Obwohl es abends neblig war und nach Regen aussah, fand das Buffet draußen auf dem Tennisplatz statt. Auf Tischen mit roten Decken standen Nudelsalate und knusprige Hähnchenschenkel. Gregory und ich machten einen wehmütigen Spaziergang über das Campusgelände. Zum letzten Mal überquerten wir das Fußballfeld.
    War das Tageslicht erst einmal verschwunden, hingen dichte Nebelschwaden bis auf den Boden. Es war gespenstisch und aufregend. Ich konnte nur wenige Meter weit sehen. Ich wollte tiefer in den Nebel hinein, als könnte ich, indem ich in seine Mitte tauchte, seine herumspukende Seele zu fassen kriegen und die unvermeidliche Rückkehr an meine Schule im September hinauszögern. Mein Zeitempfinden wurde vom Nebelaufgelöst, schmolz dahin. Ich wollte, dass diese Nacht nie vorüberging.
    Gregory zog einen Joint aus der Hosentasche und zündete ihn an. Ich nahm den Rauch in mich auf, diese ätherische Substanz, die mich so leicht machte wie Helium. Das Wetter tauchte alles in dunkleres Licht, sogar den Rauch, und der Geruch vom Sumpf flutete die Luft mit dem scharfen Gestank nach faulenden Gräsern. Ich atmete ein und wartete, dass mich dieses schwebende Gefühl auf den Nebel hob, der in Schwaden um mich herum trieb. Fernes Lachen und die Rufe eines Schülers drangen wie aus einer benachbarten Stadt zu uns hindurch.
    Wir beanspruchten diese sumpfige Ecke ganz für uns allein, und wir entdeckten einen Baumstumpf, auf den wir uns setzen konnten, schauten uns um nach Gespenstern. Der Nebel umgab uns wie ein Tuch. Gregory umarmte mich. Ich schmiegte mich an ihn. Er griff nach meiner Bluse und zog sie mir über den Kopf.
    In dieser Nacht ließen wir unsere Sachen neben dem Baumstumpf liegen. Das Gras war vom Tau benetzt und kitzelte zwischen meinen

Weitere Kostenlose Bücher