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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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weiter in Mutters Ankleidekammer zog. Der Staubsauger lief schon so lange, dass der schrille Ton zu einer neuen Form der Stille geworden war.
    Ich lag im Bett und überlegte, was ich wegen des Familienausflugs an den Strand unternehmen sollte. Ich hatte absolut keine Lust mitzukommen.
    Â«Sarah! Robert! Elliot!», rief Vater von unten. «Zieht eure Badesachen an!» Weil er darauf bestand, dass wir wie jedes Jahr am
Labor Day
an den Strand fuhren, hatte ich fast vergessen – dieser süße Hauch von Vergessen bevor die Erinnerung wieder einsetzt –, dass Mutter vor so vielen ewigen Monaten gestorben war.
    Niemand antwortete, nur Dora stellte den Staubsauger ab. Jetzt schien sogar das Haus mit mir zusammen zu lauschen. Einige Minuten vergingen, dann rief er erneut.
    Â«Wir wollen los! Kommt endlich!»
    Dora stellte den Staubsauger wieder an, und das ganze Haus vibrierte von seinem Dröhnen. Der Schatten desFensterkreuzes bildete einen Zaun an meiner Zimmerwand. Ich sah genau hin, weil ich wissen wollte, ob er sich bewegte.
    Elliot wollte bestimmt fahren. Er mochte den Strand mit seiner Überfülle von Sandflöhen, Krebsen, Steinen, Muscheln und Möwen, die in der Luft kreisten. Elliot sagte grundsätzlich nicht Nein. Das war nicht seine Art.
    Robert öffnete seine Tür.
    Â«Ich komm nicht mit!», rief er und knallte sie wieder zu.
    Erneut keine Reaktion, aber die Stimmung war damit klar.
    Â«Alle kommen mit!», rief Vater nach einer kurzen Pause. Dann waren schwere Schritte auf der Treppe zu hören.
    Er klopfte an meine Zimmertür und öffnete sie dann mit einem Ruck.
    Â«Ich bleibe bei Robert. Er will nicht mit», sagte ich.
    Ich stützte mich auf den Ellbogen. Vater sah sich in meinem Zimmer um. Im Gegensatz zu seinem Arbeitszimmer im Erdgeschoss war mein Zimmer penibel aufgeräumt; meine Kleidung lag säuberlich aufeinander gelegt in den Schubladen, so wie Mutter es am liebsten gehabt hatte.
    Â«Robert kommt auch mit. In zwanzig Minuten seid ihr beide unten.»
    Vater ging zu Roberts Zimmer, öffnete die Tür und wurde von einem Schwall von Widerworten überschüttet. Mein zwölfjähriger Bruder schmiss etwas an die Wand, etwas nicht so Schweres, vielleicht einen Turnschuh. Noch mal knallte etwas an die Wand. Vater warf die Tür zu und stürmte nach unten.
    Als ich das hörte, fand ich mich mit dem Ausflug ab. Ich zog meinen Bikini an, streifte ein gelbes Strandkleid aus Baumwolle über und schlüpfte in Ledersandalen.
    Dora ging nach unten, und der Staubsauger polterte über die teppichbespannten Stufen. Als Nächstes war das Wohnzimmer dran, dann das Esszimmer – sie putzte immer gern die Zimmer zuerst und dann den Flur, bevor sie das Kabel aufwickelte und den Staubsauger unten in den Mantelschrank stellte.
    Dann hörte ich, wie Sherry, die die Nacht wieder einmal auf dem Schlafsofa in Vaters Arbeitszimmer verbracht hatte, leise die Treppe hochgetapst kam, sacht wie ein Gast, der erstmals ein neues Haus erforscht: Die Zehen berührten höflich den Boden, die Beine bewegten sich flink, aber doch gemessen, weil sie nicht ängstlich oder übereifrig wirken wollte. Ich hörte, wie sie die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern öffnete und wieder schloss.
    Ich spähte hinaus und ging in den Flur, um zu lauschen. Auch in Roberts Zimmer war nichts zu hören, bis auf ein Scharren. Ich näherte mich der Schlafzimmertür meiner Eltern und hörte, wie im Badezimmer quietschend die Duschhähne aufgedreht wurden und dann hinter geschlossenen Türen das Wasser rauschte. Wie konnte sie es wagen! Unter der Dusche konnte Sherry nicht hören, wie ich in Mutters Ankleidezimmer schlich. Ich stand da und presste die Stirn an die abgeschlossene Badezimmertür, während Sherry «Begin the Beguine» von Cole Porter summte, ein Lieblingsstück von Vater. Die feuchtwarme Luft drang durch den Türschlitz. Ich spürte die Feuchtigkeit an den Zehen und roch den frischen Duft von Seife.
    Ich zog Mutters Kleiderschrank auf, in dem noch ihre Kleider in der Plastikfolie hingen, und holte mir vom Regalbrett neben einem Schuhkarton einen Strandhut – aus Stroh mit einem grünen Band. Ich setzte ihn auf und betrachtete mich im großen Spiegel in der Schranktür. Sherry summte nicht mehr; plötzlich wurde das Wasser abgedreht. Ängstlich huschte ich wieder hinaus, vergaß, die Schlafzimmertür zu

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