Schwimmen in der Nacht
unser Haus bekommen könnte. Er wollte erst einmal etwas mieten und dann vielleicht ein kleineres Haus kaufen.
Kaum war das Haus der Klines verkauft, hatte Onkel Max die Schuhfirma offiziell dichtgemacht. Das hatte er eine Woche zuvor bei einem Abendessen bei ihnen zu Hause bekannt gegeben. Seit Mutters Beerdigung war ich nicht mehr bei den Klines gewesen, und als ich eintrat, wurde ich trübsinnig. Die Dielenwände mit ihrer Mahagonitäfelung, die schweren Möbelstücke und die dunkle Einrichtung weckten hässliche Erinnerungen. Ich hätte jetzt gern gekifft, um mich aufzuheitern, aber Kenneth und Peter waren nicht da und konnten mich nicht ablenken. Das Haus der Klines kam mir riesig vor, in seiner übertriebenen Grandezza fast schon albern. Keine Würde, nur die Reste schiefgegangener Seder-Essen und der Katzenjammer von Onkel Maxâ geilen Blicken. Selbst meine Tante â rundlich und mit glatt zurückgestrichenen Haaren â schien in ihren Zimmerfluchten deplatziert, als hätte die bevorstehende Umsiedlung auch sie um ihr seelisches Gleichgewicht gebracht.
Mary, ihre Haushälterin, servierte einen Hackbraten. Sie trug eine Schüssel mit grünen Erbsen um den Tisch herum, hielt das Porzellan mit beiden Händen fest. Das war unnötig. Die Tafel war zu lang für unser Grüppchen. Mary trug Dienstmädchen-Tracht, und ich fragte mich, ob sie die von meiner Tante hatte. Das weiÃe Kleid wurde wie mein Turntrikot vorne geknöpft. Onkel Max saà am einen Tischende und meine Tante am anderen, und dazwischen war eine groÃe Lücke für die geschrumpfteFamilie Kunitz. Elliot, Robert und ich saÃen auf der einen Seite, Vater und Sherry auf der anderen.
«Wenn du weiÃt, wie man einen Schlüssel umdreht, dann kannst du auch ein Haus verkaufen», sagte Onkel Max zu Vater. Ich saà neben Tante Annette. Der Hausverkauf beanspruchte die ganze Aufmerksamkeit meines Onkels, und mir schenkte er gar keine Beachtung.
«So einfach ist es nun auch wieder nicht, Max, das weiÃt du doch», sagte meine Tante.
Onkel Max lachte schallend. «Klar ist es das. Mit dem Geld aus dem Hausverkauf haben wir genug für den Ruhestand. Florida ist die nächste Herausforderung. Pass auf», erklärte er weiter, «das Leben ist da billiger, auf jeden Fall billiger als im Nordosten. Selbst auf diesem schlechten Häusermarkt bekommst du in Florida gute, solide â und ich meine wirklich gute â Häuser für ân Appel und ân Ei.»
Die Klines hatten ihre Villa siebenundzwanzig Jahre lang besessen. Der Verkauf brachte ihnen so viel Geld ein, dass sie sich sofort ein Haus am Strand kaufen konnten, sagte er. «Unverbaubare Sicht aufs Meer!» Onkel Max unterstrich das, indem er sich das Gesicht mit einer Leinenserviette abtupfte.
«Ich hätte nicht übel Lust, selber in diese Heuchlerbranche einzusteigen», verkündete er. «Ein paar Immobilien zu vermakeln. Warum nicht?»
«Max, ich glaube, wir haben einfach Glück gehabt», sagte meine Tante.
«Wieso Glück? Ein schönes Haus braucht keinen Makler. Das verkauft sich von selbst.»
«Sie sind wirklich mit einem wunderschönen Haus gesegnet», sagte Sherry.
Sherrys Anwesenheit, gepaart mit Peters Fehlen nach seiner Abwanderung an die Westküste, sorgte für eine gewisse Spannung im Raum. Peter zog gerade aus Kenneths Eigentumswohnung zusammen mit vier anderen Leuten in ein Haus in Venice Beach. Er hatte sich am California State College eingeschrieben, um nicht eingezogen zu werden. Er schrieb mir Briefe auf so dünnem Papier, dass der Stift durchdrückte. Ich strich gern mit den Fingern über die Vertiefungen. Er zeichnete sich selbst immer dazu, als Strichmännchen mit schulterlangen Haaren. Und er legte die Texte seiner neuen Songs bei und kritzelte Gitarrenakkorde wie E6 und A-moll daneben, damit ich sie hören konnte. «Der hier ist für Dich, Sarah», schrieb er:
Satellitenherz
Ich seh, wie du durchs Weltall fliegst
Kannst Dich nicht zurücklassen
Weil die Welt rund ist
Seinen jüngsten Brief hatte ich immer in der Tasche, als Talisman unserer Verbundenheit, als Kaufbeleg der Hoffnung auf meine Zukunft. Wenn er es geschafft hatte, konnte ich das auch.
Meine Tante versuchte, beim Essen mit Sherry Konversation zu machen.
«Und Sie lehren also im Bereich Frauenforschung? Was genau machen Sie denn da?»
Sherry trug
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